Jahrzehnte der Schattenjäger-Welt in einer Anthologie
Wir schrieben das Jahr 2011 und nein, es ging nicht hinaus ins vom Menschen unerforschte All, sondern in die Welt der Schattenjäger. Der Arena Verlag präsentierte uns damals noch unter dem Titel „City of Angels“ (Neuauflage bei Goldmann unter „City Of Bones“) den ersten Band der „Chroniken der Unterwelt“. In dieser ersten Hexalogie offerierte uns Cassandra Clare ihre ganz eigene Urban Fantasy Schöpfung. Bis dato hatte sie durch eine „Harry Potter“ sowie eine „Herr der Ringe“ Adaption auf ihr Schreibtalent aufmerksam gemacht. Ihren Schattenjäger Kosmos entwickelt die Autorin seitdem stetig weiter fort. In mehreren Serien beschreibt sie das Schicksal der Gemeinschaft der Nephilim (Schattenjäger) über Jahrhunderte hinweg, die gegen Dämonen zu Felde ziehen, um die Irdischen zu schützen.
Was hat es mit dem Schattenmarkt und dem stillen Bruder auf sich?
Elben, Werwölfe und Vampire, dazu Hexer treffen sich weltweit auf Schattenmärkten, bieten ihre Waren, Pülverchen und Tinkturen an, versprechen Heilung oder Tod, Siechtum oder Liebe. Auch wenn es verpönt und verboten ist, finden sich zuweilen Schattenjäger auf den Märkten. Und ein Bruder der Stille sucht hier über Jahrzehnte nach dem letzten verschollenen Nachkommen einer ehedem alt-ehrwürdigen Schattenjäger-Familie.
Vor langer Zeit gehörten die Herondales zu den geachtetsten Nephilim. Dann zeigte einer der Familie im Kampf gegen die Dämonen Furcht, floh gar vom Schlachtfeld. Er wurde zum Tode verurteilt, floh erneut und seine schwangere Ehefrau wurde an seiner statt hingerichtet. Dass das Kind mittels einer Hexe gerettet werden konnte und dass ein dämonischer Zauber die vermeintliche Flucht auslöste, war nicht bekannt.
Bruder Zachariah, der bevor er sich den Brüdern der Stille anschloss unter den Namen Jem Carstairs bekannt war, verlor seinen Freund Will an das Alter. Zusammen mit der Hexe Tessa waren sie einst ein unzertrennliches Team. Nun sucht er, im Gedenken an seinen Freund, nach einem mit Will verwandten Nachkömmling der Herondales. Über einen Zeitraum, der von 1901 bis 2013 reicht, folgen wir dem Bruder auf Schattenmärkte überall auf der Welt. Und er stößt nicht nur auf alte Bekannte, neue Gefährten und Gegner, sondern tatsächlich auf den letzten Abkömmling der Familie Herondale.
Wiedersehen mit alten und neuen Freunden
Zehn Geschichten erwarten den Leser. Verbindendes Glied ist nicht etwa, wie man angesichts des Titels mutmaßen könnte, der Schattenmarkt, sondern Bruder Zachariah. Mit diesem verfolgen wir über die Jahrzehnte die Entwicklung der Schattenjäger. Nicht immer steht der Bruder der Stille im Zentrum des Geschehens. Oft taucht er als Beobachter am Rande der eigentlichen Handlung auf, verbindet jedoch alle Erzählungen miteinander.
Für die Geschichten sicherte sich Cassandra Clare die Hilfe von vier Mitautoren. Sarah Rees Brennan, Maureen Johnson, Kelly Link und Robin Wassermann steigen bildlich gesprochen mit Clare ins Boot. Wobei ich nicht weiß, inwieweit sich Cassandra Clare in die jeweiligen Beiträge ihrer Mitstreiter eingebracht hat. Bis auf zwei nun erstmals zugänglichen Stories, wurden die Erzählungen bereits vorab vom Goldmann Verlag als E-Books veröffentlicht.
Die Geschichten selbst umfassen nicht allein eine zeitlich umfangreiche Ära, es gibt so manches willkommene Wiedersehen mit bekannten Figuren. Insoweit ist die Kenntnis der bislang erschienenen Romane zwar nicht unbedingt Voraussetzung zum Verständnis der Lektüre, aber doch mehr als hilfreich, um sich in der jeweiligen Handlung zurechtzufinden. Und, dies ist eine der großen Pluspunkte der Anthologie, wir treffen nicht nur auf altbekannte Figuren. Sondern es wird auch so manches Rätsel, das bislang offenblieb, gelüftet.
Die Beiträge selbst sind stilistisch wie inhaltlich recht unterschiedlich. Sie sind zwar alle stimmig in die Schöpfung Clares eingefügt, unterscheiden sich jedoch in ihrer Anlage und Aussage zum Teil markant.
Ergründen alter und neuer Geheimnisse
Es sind Beiträge dabei, die mich ergriffen, ja gerührt haben. Etwa die Beschreibung des vom Blitzkrieg getroffenen Londons, der Bombardierung der historischen Innenstadt und dem Mut und Gleichmut der betroffenen Londoner. Oder die Adoption eines Nephilim-Waisenjungen aus Buenos Aires und der Einblick in Valentins Kreis.
Gerade nach der Enttäuschung, die ich mit „Queen of Air and Darkness – Die Dunklen Mächte“ erlebte, welches ich dreimal begann und wieder zuklappte, bot dieser Band ein höchst willkommenes Wiedersehen mit einer Welt, die mich literarisch seit Jahren begleitet. Hier bereicherten die Autoren die Schattenchronik-Saga um Hintergründe, um Geschichten und Schicksale.
Dass Zachariah alias Jem immer wieder auftaucht, ist ein Glücksgriff. Der etwas andere Bruder der Stille wirkt, gerade weil er eher zurückhaltend auftritt und sich nie in den Vordergrund drängelt, wohltuend anders, als die Testosteron geschwängerten Helden der Schattenjäger oder die aggressiven Schattenwesen. Mit und durch ihn kommt zusätzliche Tiefe in die jeweilige Handlung, werden Motive und Aktionen hinterfragt. Etwas, das ich bei den aktuellen Romanen schmerzlich vermisste. Vorliegend haben die Trauer, das Unglück und Leid einen Platz und verleihen dem Plot jeweils Gewicht.
Die Mischung, die uns die Autorinnen offerieren, die Bandbreite, die sie zeitlich und personell abdecken, weckt willkommene Erinnerungen an tolle Lektüren. Insoweit richtet sich das Buch in erster Linie an Leser, die die Buchreihen von Cassandra Clare bereits kennen. Es gibt viele Anspielungen auf Geschehnisse aus den bislang erschienen Romanen. Auch die Zusammenhänge der Schattenwelt mit den Nephilim, ja der Grundansatz der übernatürlichen Welt wird vorausgesetzt.
Für Cassandra Clares Leserschaft bieten die zehn Novellen ein willkommenes Wiedersehen mit bekannten Figuren, aber auch die Möglichkeit neue Gestalten kennenzulernen, Beziehungen einzuordnen und Zusammenhänge zu erkennen.
Die Geheimnisse des Schattenmarktes kaufen
Carsten Kuhr
Anthologie zu den Schattenjäger Chroniken
Fantasy (Urban Fantasy)
Goldmann Verlag
Oktober 2019
634
Funtastik-Faktor: 74
Hallo liebe Eva,
also könnte man zusammenfassend sagen eine Sammlung von „Kurzgeschichte“ auf gut 634 Seiten oder?
City Of Bones kenne ich übrigens….
LG..Karin..
Könnte man. Je nachdem, was man unter „Kurz“ versteht. 😉