Die langen, blutigen Schatten der Revolution
Nach der Schwarzspiegel-Verschwörung ist der magisch begabte Zwerg Drúdir in seine Heimatstadt Nordkrone in der Union zurückgekehrt. Doch die traumatischen Erfahrungen wollen ihn nicht loslassen. Nachdem Drúdir die unangenehme Bekanntschaft mit einem alkoholkranken und ebenfalls magiekundigen Zwerg machte, untersucht Findras Polizei-Kollege Shenrar Drúdirs Rolle im vergangenen Abenteuer. Scherereien kann der Zwerg gerade nicht gebrauchen, zumal er sich immer noch unsicher ist, was seine Begabungen ihm konkret ermöglichen. Der Elfen-Spion Phandrael gab ihm die Visitenkarte eines Menschen, der eine umfassende Werksammlung zum Thema Magie jenen, die sie benötigen, zur Verfügung stellt. Sein Name ist Jathrades Elytti und er wohnt in der Stadt Ch’Ashvaenta, der Hauptstadt der von Menschen besiedelten Monarchie Rhuvien.
»Drúdir fragte sich, ob er mitten in eine Revolution hineinfuhr. « [S.49]
Der berühmte Maskenbauer Jathrades Elytti ist tot. Als Drúdir dessen Haus erreicht, wird gerade sein Sarg herausgetragen und der Zwerg hilft einem der Träger, ihn nicht fallen zu lassen. So lernt Drúdir Nodia, die Tochter und Erbin des Meisters, kennen. Mit ihr begibt er sich auf die Jagd nach einem nekromantischen Mörder. Dessen Motiv reicht zu der sogenannten ‚Revolution der Masken‘ zurück. Und zu einer Schuld, die Jathrades Elytti jahrelang sorgsam verborgen und verdrängte – selbst vor seiner eigenen Tochter.
Über Schuld, Rache, Sühne und Verantwortung
Nach dem äußerst erfolgreichen Werdegang ihres Debut-Romans „Drúdir-Dampf und Magie“, der es von der Neobooks Plattform über Selfpublishing in eine Verlagspublikation schaffte, hat sich Swantje Niemann nun einen weiteren Roman veröffentlicht. Insgesamt sollen es drei Romane mit dem Protagonisten Drúdir werden, die in der Welt Kiarva angesiedelt sind.
Die Autorin verzichtete darauf, ein Erfolgsrezept zu wiederholen. Vielmehr ist sie das Risiko eingegangen, einen neuen Schauplatz zu wählen und eine völlig andere Geschichte mit neuen Protagonisten zu erzählen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen. Drúdir ist auch im neuen Abenteuer dabei, lässt aber oft anderen Figuren den Vortritt. Der charismatische Elfen-Spion Phandrael feiert ein kurzes Gastspiel. Und Findra, Drúdirs treue Freundin, schaut am Anfang vorbei, um ihn in sein neues Abenteuer zu verabschieden. Die Protagonistinnen in „Drúdir-Masken und Spiegel“ heißen Nodia und Spiegelmaske.
Für den neuen Schauplatz Rhuvien dachte sich Swantje Niemann einen weitreichenden historischen Hintergrund aus, der die Grundlage für diesen Steamfantasy-Roman bildet. Ich empfehle einen Blick in die Vorgeschichte ab Seite 357. Auch die am Buchende aufgelisteten Dramatis personae und das Glossar sind äußerst hilfreich. Denn Swantje Niemann schrieb keinen Easy-Reading Roman, sondern einen komplexen Steampunk-Krimi. Die Story spielt auf zwei Zeitebenen und nimmt auf Ereignisse in der Vergangenheit Bezug, sowie auf Personen, die längst verstorben sind. Auch deren Vita gilt es, sich einzuprägen, als wenn es nicht schon genug Akteure gäbe. Sie alle sind jedoch wichtig für diese Geschichte um einen Rachefeldzug vor dem Hintergrund einer Revolution. Die trotz edelster Absichten Blut an den Händen der Aktivisten hinterließ.
»Eigentlich hatte Spiegelmaske bloß das Haus der Elyttis ein weiteres Mal ausspähen wollen. [..] Doch dann war sie auf Nodias Gast aufmerksam geworden. Etwas an seiner Aura sorgte dafür, dass sich ihre Nackenhärchen aufrichteten, wenn sie ihn ansah. Also hatte sie sich entschieden, ihm zu folgen. Insbesondere, als sich herausstellte, dass er offenbar unabhängig von den beiden Männern agierte, die das Haus der Elyttis ebenfalls beobachteten [..].« [S. 85]
Storyaufbau und Charakterzeichnung ergänzen sich perfekt
„Drúdir-Masken und Spiegel“ spannt den Spannungsbogen langsam und gründlich. Der Leser folgt abwechselnd den Protagonisten Nodia, Spiegelmaske, Drúdir und dem Hexenjäger Vimiano. Dazwischen tauchen wir in Jathrades‘ Journal in die Vergangenheit Rhuviens 15 Jahre vor dem aktuellen Geschehen ein. Die Geschichte schlägt immer wieder Haken und lockt uns auf falsche Fährten. Swantje Niemanns sorgfältige Erzählweise lässt jede Finte glaubwürdig erscheinen, denn jeder Protagonist hat gute Gründe für sein Handeln. Zwar ahnt man im letzten Viertel des Buchs, welches Gesicht hinter der spiegelnden Maske steckt, dies tut der Spannung jedoch keinen Abbruch. Das Finale ist spektakulär genug, um den Leser bis zum Schluss in Atem zu halten.
Auch wenn Swantje Niemann eine Vorliebe für den perfekt konzipierten Plot durchblicken lässt, bleiben in ihren Geschichten dramatische Begegnungen mit tiefen Gefühlen nicht außen vor. Die Autorin hat ein Händchen für individuelle Figuren mit Persönlichkeitsschattierungen in allen Farbnuancen. Die Protagonistin Nodia ist eine Sympathieträgerin, sowie der Serienheld Drúdir, trotz seiner düsteren Seiten. Eindeutig als Unsympath gekennzeichnet ist Vimiano, der Hexenjäger. Doch selbst die Serienmörderin wirkt eher wie eine Getriebene. Ich hätte gern noch etwas mehr über ihre Entwicklung erfahren. Nebenfiguren wie Eivanni oder Emalda setzen in „Drúdir-Masken und Spiegel“ wichtige Akzente und hüten ebenfalls dunkle Geheimnisse.
Die Interaktionen sind ein weiterer Pluspunkt des Romans. Denn die Dialoge sind nicht nur bissig oder einfühlsam, ausschweifend oder prägnant auf den Punkt formuliert. Sie enthüllen philosophisch anmutende Hinter- bisweilen auch Abgründe, die dem Leser Stoff zum Nachdenken geben.
Ein Ausnahmetalent am Werk
„Drúdir-Masken und Spiegel“ ist ein weiterer Roman von Swantje Niemann der zeigt, wie unterhaltsam und ultraspannend anspruchsvolle Fantasy Literatur sein kann, die leichtfüßig Genre-Grenzen hinter sich lässt. Swantje Niemann ist ein Ausnahmetalent, denn sie schreibt so eingängig, dass sich der Leser in ihren fremdartigen Welten schnell zu Hause fühlt. Dabei kombiniert sie Stilvariationen, die man selbst unter weitaus erfahreneren AutorInnen nur selten findet. Zu kritisieren wäre allenfalls, dass sich die Figuren bisweilen ein wenig zu sehr in ihren Gedankengängen und Schlussfolgerungen verrennen. Ein Tick weniger wäre hier vielleicht mehr.
Swantje Niemann erinnert mich an Katharina Hartwell, deren Anthologie-Roman „Das Fremde Meer“ mich vor einigen Jahren ähnlich positiv überraschte. Ich kann nur hoffen, dass das deutsche Literaturbusiness Swantje eine große Zukunft als Schriftstellerin ermöglicht.
Eva Bergschneider
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Drúdir-Trilogie, Band 2
Steampunk
Edition Roter Drache
Februar 2019
360
Funtastik-Faktor: 90