Interview mit Kathrin Dodenhoeft

Über Schlechtes, das sich zum Guten wendet, Liebe zum Gedruckten, einen Sechser im Lotto und Diversität im Buchbereich

Kathrin Dodenhoeft © Alita Holzhauer
Kathrin Dodenhoeft © Alita Holzhauer

»Ich war sogar so deprimiert, dass ich es erst gar nicht versuchen wollte. Ich habe mich dann aber doch durchgerungen, mich zu bewerben, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam kurze Zeit später die Zusage. Mein Rat darum an alle, die durch ein ähnliches Tal gehen – versucht es auf jeden Fall, immer! Man weiß nie, was passiert.«

phantastisch-lesen: »Seit dem 1. Juni 2020 arbeitet Kathrin Dodenhoeft als Senior Editor im Lektorat Science Fiction/Fantasy/ivi für den Piper Verlag. […] Kathrin Dodenhoeft war zunächst als Marketing-Managerin beim Uhrwerk Verlag in Köln tätig und übernahm dort von 2016 bis 2019 die Verlagsleitung des Belletristik- Labels Feder & Schwert.« [Anmerkung: 2016 wurde Feder & Schwert vom Uhrwerk Verlag übernommen. Im Jahr 2019 gab Uhrwerk die Insolvenz bekannt.]

So lautete kurz und knapp damals die Meldung im BuchMarkt – und war doch gleichzeitig eine Zeit, die für Dich viel Aufregung, Sorgen aber auch Glück bedeutet hat. War es im Nachhinein gut, dass es so gekommen ist?

Kathrin Dodenhoeft: „Gut“, soweit würde ich vielleicht nicht gehen. Denn der Abschied von Feder & Schwert hat schon ziemlich wehgetan. Aber für mich hat sich dann tatsächlich etwas Schlechtes zum Guten gewendet und ich bin sehr, sehr glücklich da zu sein, wo ich jetzt bin.

phantastisch-lesen: Ich nehme einmal an, dass Deine Liebe zu den gedruckten Buchstaben recht früh begann?

Kathrin Dodenhoeft: Wie bei den meisten in der Branche sicherlich, ja. Ich habe mich als Kind schon gerne in Büchern vergraben und die örtliche Bibliothek unsicher gemacht. Bis heute gibt es für mich wenig Schöneres als den Geruch von Bibliotheken. Mit neun Jahren habe ich angefangen, die Perry-Rhodan-Hefte meines Vaters zu lesen und dann war mein Schicksal besiegelt.

phantastisch-lesen: Wie wurde später aus dem Fan und Leser der Profi? Ging es gleich zu Feder & Schwert? Was muss man hier mitbringen um die Tätigkeit zu schultern?

Perry Rhodan – Das größte Abenteuer - Andreas Eschbach © Fischer-Tor
Perry Rhodan – Das größte Abenteuer © Fischer-Tor

Kathrin Dodenhoeft: Das war eine wirkliche Kette von Zufällen, über die ich heute noch manchmal staune. Eine Voraussetzung war, dass ich mit Mitte zwanzig noch einmal angefangen habe, zu studieren. Und dadurch hatte ich die Zeit hatte, als freie Mitarbeiterin beim Uhrwerk Verlag mitzumachen. Anfangs war ich vor allem für Layout zuständig, aber bald habe ich auch kleinere Texte geschrieben und korrigiert. Aus der freien Mitarbeit wurde dann irgendwann eine feste Stelle und als Uhrwerk Feder & Schwert übernahm, habe ich mich sofort auf die Gelegenheit gestürzt. Da wurde mir eigentlich erst so richtig klar, dass es schon immer ein Traum für mich gewesen war, in der Belletristik zu arbeiten. Den hatte ich mich nur nie getraut, zu träumen.

Meine Tätigkeit bei Feder & Schwert unterschied sich natürlich etwas von der, die ich jetzt mache. Um einen Kleinverlag zu managen, sind sehr viele verschiedene Fähigkeiten hilfreich, vor allem anderen aber Organisationstalent und Stressresistenz. Auch Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeiten sind extrem wichtig. Danach kommen eigentlich erst die ‚fachlichen‘ Dinge wie das Redigieren von Texten (denn hier holt man sich aus Zeitmangel viel externe Unterstützung). Mir hat immer geholfen, dass ich aus meiner vorherigen beruflichen Laufbahn und meinen Hobbys sehr viele unterschiedliche Fertigkeiten mitgenommen habe: den Umgang mit der Adobe Creative Suite, CMS-Systemen wie WordPress, Online-Marketing- und Social-Media-Kenntnisse. Und natürlich die Fähigkeit, sicher Texte zu schreiben und redigieren zu können.

Als Lektorin in einem Großverlag sind die Schwerpunkte natürlich etwas anders. Hier habe ich viele meiner früheren Aufgabengebiete nicht mehr, da es dafür spezialisierte Abteilungen gibt. So kann ich mich ganz auf die Texte, die Auswahl von Texten und das Projektmanagement konzentrieren.

phantastisch-lesen: Du hattest bei Feder & Schwert ein Programm aufgebaut, das ich zumindest als sehr abwechslungsreich und interessant im Gedächtnis habe. Gerüchteweise waren es auch nicht unbedingt die Verkaufszahlen bei Feder & Schwert, die für die Insolvenz verantwortlich waren, sondern Gründe im Bereich der Konzernmutter. Wie fühlt man sich da? Hilflos, wütend? 

Kathrin Dodenhoeft: Danke! Die Gefühle zur damaligen Zeit waren natürlich sehr negativ. Und es hat auch wirklich eine ganze Weile gedauert, die Ereignisse zu verarbeiten. Das kann man sich sicher vorstellen. Ich vermisse die Zeit mit Feder & Schwert manchmal auch immer noch. Und natürlich tut es auch weh, dass ich die Ergebnisse von vielem, was ich angefangen hatte, gar nicht mehr erleben konnte. Aber ich halte mich nicht daran fest. Und gerade die Tatsache, dass für mich letztendlich alles so gut geendet ist, sorgt dafür, dass mich das inzwischen nicht mehr belastet.

phantastisch-lesen: Welcher Deiner damaligen Zyklen würdest Du heute, hättest Du die freie hypothetische Wahl, wieder / weiter veröffentlichen?

Fallstudien - Jim Butcher © Feder & Schwert
Fallstudien © Feder & Schwert

Kathrin Dodenhoeft: Das schlimme war, dass die meisten „meiner“ Projekte, die ich selbst eingekauft habe, zum Zeitpunkt der Insolvenz noch gar nicht erschienen waren. Um die tat es mir am meisten leid. Zum Glück erscheinen aber einige dieser Sachen jetzt bei anderen Verlagen (auch bei Piper) oder sind sogar bereits erschienen. Ansonsten vermisse ich sicherlich am meisten „Harry Dresden“ und seine Fans, und auch die „Splittermond“-Romanreihe hat mir immer großen Spaß gemacht.

phantastisch-lesen: Zunächst warst Du mit der Abwicklung beschäftigt, dann ging es auf die Suche nach einem neuen Broterwerb. War das der Sechser im Lotto bei Piper ausgerechnet in der Phantastik-Sparte aufzuschlagen? Wie kam es zum Kontakt?

Kathrin Dodenhoeft: Das war definitiv der Sechser im Lotto, aber auch purer Zufall. Die Stelle als Lektorin bei Piper war ausgeschrieben, und ich wurde durch Social Media darauf aufmerksam, glaube ich. Ich hatte den Traum, in einem großen Verlag unterzukommen, zu dem Zeitpunkt eigentlich schon aufgegeben, denn solche Stellen sind nicht gerade zahlreich. Dazu bin ich im Verlagswesen eine Quereinsteigerin, denn ich habe kein Volontariat gemacht, keinen Master-Abschluss und hatte auch keine Großverlagserfahrung. Ich war sogar so deprimiert, dass ich es erst gar nicht versuchen wollte. Ich habe mich dann aber doch durchgerungen, mich zu bewerben, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam kurze Zeit später die Zusage. Mein Rat darum an alle, die durch ein ähnliches Tal gehen – versucht es auf jeden Fall, immer! Man weiß nie, was passiert.

Köln, Kölner Dom, Hohenzollernbrückephantastisch-lesen: Das Ganze war ja mit einem Umzug verbunden – eine neue Stadt, eine andere Mentalität. Anstatt rheinischer Frohnatur Bajuwarische Gemütlichkeit. Wie hast Du Dich eingelebt und zurechtgefunden? Trauerst Du dem alten Zuhause nach?

Kathrin Dodenhoeft: Tatsächlich habe ich den Wohnsitz im Köln zuerst noch nicht aufgegeben, sondern bin zwischen München und Köln gependelt. Das war natürlich in 2020 deutlich einfacher als es in einem anderen Jahr gewesen wäre, da ich viel im Homeoffice arbeiten konnte. Jetzt steht aber der endgültige Umzug nach München unmittelbar bevor und mein Herz blutet schon ein wenig. Köln war für sehr lange Zeit jetzt meine Wahlheimat und ich werde die Stadt auch immer lieben. München muss sich da noch ein bisschen anstrengen. 😉

phantastisch-lesen: Du betreust hier den Phantastik-Bereich ja nicht alleine. Wie habt ihr Euch die Arbeit untereinander aufgeteilt? Hat jeder seine Autoren, die sie betreut, oder wird jedes Projekt ausgelobt?

Kathrin Dodenhoeft: Bei uns funktioniert es so, dass jede sich weitgehend ihre eigenen Projekte sucht. Also was man einkauft, betreut man dann später auch als Projektmanagerin. Und natürlich bleibt dann auch jede*r Autor*in immer bei derselben Lektorin.

phantastisch-lesen: Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus? Was sind Deine Aufgaben – nur Lesen trifft es glaube ich nicht wirklich, oder?

Kathrin Dodenhoeft: Leider nicht wirklich. Der größte Teil der Arbeit besteht aus Projektmanagement, der Kommunikation mit Autor*innen, Agenturen und externen Mitarbeitenden, der Vorbereitung von Präsentationen etc. Ab und zu redigiert man auch selbst einen Text, aber das ist nicht bei der Mehrheit der Projekte so. Das Lesen findet zum allergrößten Teil am Wochenende statt.

phantastisch-lesen: Was konntest Du aus Deiner Zeit bei Feder & Schwert mitnehmen, was war an der neuen Stelle hilfreich?

Kathrin Dodenhoeft: Eigentlich alles, was ich bei Feder & Schwert gelernt habe, war für mich hier hilfreich. Ich kann zwar vieles jetzt nicht mehr einsetzen, aber allein dass ich Hintergründe kenne (z.B. wie Kommunikation mit Druckereien abläuft, wie ein Buch gesetzt wird, wie das VLB funktioniert) hilft, vieles zu verstehen. Am hilfreichsten waren wahrscheinlich die Verhandlungen, die ich bei Feder & Schwert zu führen gelernt habe. Ich glaube meine E-Mail-Skills haben sich in dieser Zeit vertausendfacht.

phantastisch-lesen: Der Markt ist auch nach dem Rückzug von Bastei-Lübbe [gemeint ist das Einstellen eines verlagseigenen Phantastik-Bereichs] noch ziemlich umkämpft. Wie plant ihr hier aus der monatlichen Flut von Novitäten herauszuragen?

Kathrin Dodenhoeft: Wir setzen auf eine gute Mischung aus unseren bewährten Autor*innen und Newcomern. Und neben einem guten Teil der gerade unheimlich beliebten Romantasy auch auf einige gehobenere, preisgekrönte Titel (im Herbstprogramm 2021 zum Beispiel Mary Robinette Kowals „Die Berechnung der Sterne“). Insgesamt hoffen wir auch, mit einigen unserer Titel auch Lesende außerhalb des SFF-Fandoms für Bücher mit Phantastik-Anteil begeistern zu können. Ein Beispiel hierfür aus dem Herbstprogramm wäre neben „Die Berechnung der Sterne“ auch „Witness X“ von S. E. Moorhead.

phantastisch-lesen: Das Programm umfasst ja jede Spielart der Phantastik – Science Fiction, Romantansy, Fantasy – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Allerdings ist der Verlag für den Leser damit auch nicht so richtig einzuordnen. Ist das ein Problem? Wie reagiert der Buchhandel auf die gebotene Vielfalt?

Kathrin Dodenhoeft: Ich glaube, für die Leser*innen ist das bei einem großen Verlag wie Piper kein großes Problem. Seien wir mal ehrlich – die allermeisten Leser*innen wählen ihre Lektüre ohnehin nicht nach dem Verlag aus, der draufsteht. Da müssen wir eher mit den Autor*innennamen punkten, was wir natürlich auch versuchen, zu tun. Der Buchhandel ist das, glaube ich, so gewohnt. Denn es ist ja bei den meisten großen Verlagen, die Fantasy verlegen, so. 

phantastisch-lesen: Schaut man sich das Autorenkarussell über die Jahre an, so fällt auf, dass Piper nach einem Beginn, bei dem man auf deutschsprachige Autoren gesetzt hat, inzwischen ein wenig von heimischen Verfassern abgekommen ist. Neben den etablierten Michael Peinkofer, Richard Schwartz und Andreas Brandhorst findet man bei Piper selbst kaum mehr deutschsprachige Autoren und Autorinnen. Bei IVI sieht es ein wenig anders aus. Ist das so geplant, die neuen Talente beim All-Age Ableger IVI starten zu lassen? Und Piper als Heimat für die etablierten auch international bekannten Autoren zu nutzen?  

Prophezeiungen für Jedermann © Piper Verlag

Kathrin Dodenhoeft: Dieser Eindruck ist Zufall, da steckt zumindest meines Wissens nach keine Systematik dahinter. Oft hängt es einfach davon ab, was gerade angeboten wird und wie es zeitlich passt. Natürlich möchten wir auch in Zukunft sehr, sehr gern weiterhin viel mit deutschen Autor*innen zusammenarbeiten. In den aktuellen Programmen sind ja auch einige vertreten, worüber wir uns sehr freuen: darunter James A. Sullivan, Laura Labas, Christoph Dittert, Laura Kneidl und im IVI-Bereich Nina MacKay, Sarah Raich und Nicole Gozdek.

phantastisch-lesen: Was unterscheidet das Piper vom IVI Programm – nur das Alter der Zielgruppe?

Kathrin Dodenhoeft: Ja, tatsächlich, IVI ist das Jugendbuch-Imprint. Und man könnte wohl sagen, dass IVI einen stärkeren Schwerpunkt auf der romantischen Fantasy hat.

phantastisch-lesen: Provokant ausgedrückt besteht Piper aus Schwartz, Pehov, Estep und Hamilton – der Rest füllt als Beiwerk die Regale?

Kathrin Dodenhoeft: Wenn du nur Spitzentitel bzw. bekannte Autor*innen zählen und alles andere als Beiwerk bezeichnen möchtest, dann kann man das vielleicht so sehen. Das Programm hat allerdings noch viel, viel mehr zu bieten und für uns sind die vielen Debüt- oder (noch) unbekannteren Autor*innen keinesfalls Beiwerk. Die Autor*innen, die du nennst, sind ja auch vor allem die, die schon lange und viel geschrieben haben. Das man sich an sie besser erinnert ist natürlich klar.

phantastisch-lesen: Welchen der von Dir angesprochenen Autoren würdest Du für welche Leserzielgruppe auswählen?

Kathrin Dodenhoeft: Also grundsätzlich sollte natürlich jeder das lesen, was ihm*ihr gefällt. Es kommt auch mehr auf das einzelne Buch als auf den*die Autor*in an. Aber grob kann man natürlich sagen, dass mit den Büchern von Autorinnen wie Laura Kneidl, Laura Labas und Nina MacKay eher Leser*innen glücklich werden, die gern Romantisches lesen, während Christoph Dittert sich an Fans der klassischen SF und James A. Sullivan sich mit seiner neuen Reihe an Fans der klassischen High Fantasy richtet.

Fluchbrecher © Piper Verlag

phantastisch-lesen: Es fällt auf, dass bei einem Eurer Zugpferde Richard Schwartz mit seinen begonnenen neuen Zyklen um die „Eisraben“ -Chroniken oder die „Sax“-Chroniken nicht vorangeht. Woran liegt es?

Kathrin Dodenhoeft: Solche Verzögerungen gibt es leider immer wieder mal. Das hängt oft von mehreren Faktoren ab, die wir als Verlag nicht immer beeinflussen können. Da müssen wir die Fans leider noch um ein wenig Geduld bitten.

phantastisch-lesen: Welche der Autoren aus Piper-Vergangenheit hättest Du gerne entdeckt?

Kathrin Dodenhoeft: Das kann ich jetzt gar nicht so genau beantworten, da gibt es natürlich unzählige! Viel wichtiger ist für mich aber natürlich der Blick in die Zukunft und meine aktuellen Autor*innen.

phantastisch-lesen: Die äußere Gestaltung der Titel hat sich in den letzten Jahren bereits massiv geändert und verbessert. Bist Du mit dem jetzigen Äußeren Eurer „Buch-Kinder“ zufrieden? Was könnte man besser machen?

Kathrin Dodenhoeft: Da ich ja erst seit einem Jahr bei Piper bin, ist meine Erfahrung zu diesem Prozess natürlich begrenzt. Aber bei den Covern, an denen ich beteiligt war, war ich bisher immer begeistert vom Ergebnis. Das gehört zu den besten Momenten in meinem Job, wenn man sieht, was die Grafiker*innen aus unseren Briefings Tolles gemacht haben. Und tatsächlich fließt auch jede Menge Gehirnschmalz von sehr vielen verschiedenen Leuten in diese Briefings. Alle überlegen gemeinsam, welche Art Cover das Buch am besten verkörpern und zur Geltung bringen kann. Das finde ich großartig.

phantastisch-lesen: Als alter Fan sei mir die Frage gestattet, ob ich und andere Leser uns auf den bislang fehlenden abschließenden Band der „Greatcoats“-Chroniken von de Castell oder gar ein Wiedersehen mit den Feder & Schwert Heroen Harry Dresden (Jim Butcher) oder Ishmael Jones (Simon Green) freuen dürfen?

Kathrin Dodenhoeft: Zu „Greatcoats“ kann ich leider aktuell nichts sagen, zu Harry Dresden und Ishmael Jones ist nichts geplant, tut mir leid.

phantastisch-lesen: Wie stehst Du zur Diversität im Buchbereich? Sollen, müssen die Bücher umgeschrieben oder bei neu verfassten Titeln gegendert und mit * und : gearbeitet werden?

Wasteland © Knaur Verlag

Kathrin Dodenhoeft: Diversität im Buchbereich finde ich absolut wichtig und notwendig, aber das umfasst ja sehr viele verschiedene Aspekte. Genderneutrale Schreibweisen finde ich grundsätzlich für uns als Gesellschaft sehr wichtig, denn es ist wissenschaftlich bewiesen, dass unsere Sprache unser Denken prägt. Selbstverständlich fordert aber niemand, jetzt Bücher „umzuschreiben“, es ist (wie auch schon immer) in erster Linie den Autor*innen überlassen, ob und wie sie in ihren Büchern gendern möchten. Ich persönlich finde das Gendersternchen für Sachtexte (wie dieses Interview) eine sehr gute Lösung, aber in belletristischen Texten würde es auch mich vermutlich eher stören, wenn es zu häufig eingesetzt würde. Aber dafür gibt es ja auch andere Lösungen, wie z.B. Judith und Christian Vogt in ihrem Roman „Wasteland“ sehr beeindruckend gezeigt haben. In diesem Buch wirst du keine Sternchen oder Doppelpunkte finden, aber trotzdem auch keine ausschließenden, „generisch maskulinen“ Formulierungen.

Davon abgesehen hört Diversität natürlich nicht bei der Sprache auf. Wichtig – oder vielleicht sogar wichtiger – finde ich die Repräsentation von verschiedensten Menschen und Lebensweisen in den Büchern. Aber das ist auch etwas, was aktuell gerade schon von ganz allein geschieht, nicht nur, aber auch in der Phantastik. Eine Entwicklung, die mich sehr freut.

phantastisch-lesen: Apropos Diversität. Du bist gemeinsam mit Lena Richter und Judith Vogt Herausgeberin des Kurzgeschichtenmagazins „Queer*welten“. Welche Art von Geschichten finden Leser*innen im Magazin? Was sollten Leser*innen aus den Geschichten mitnehmen?

Queer*welten, Band 5 © Ach je Verlag
Queer*welten, Band 5 © Ach je Verlag

Kathrin Dodenhoeft: In unserem Magazin findet man queerfeministische Geschichten aus der Fantasy und Science-Fiction. Gemeint sind damit Erzählungen, in denen in irgendeiner Form der Status Quo in Frage gestellt und Weltenentwürfe angedacht werden, in denen heteronormative, patriarchale und/oder rassistische Strukturen keine Rolle spielen oder überwunden werden. Die Geschichten selbst sind ganz unterschiedlich, von der Neuinterpretation griechischer Mythologie über eine Ballade über ein Raumschiff bis hin zu einer traumartigen Verarbeitung von struktureller Diskriminierung von Menschen mit chronischen Erkrankungen bei öffentlichen Ämtern ist alles schon dabei gewesen. Was man daraus mitnimmt, ist natürlich jeder Person selbst überlassen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es, dass die Lektüre unseres Magazins dazu führt, dass sich bei den Lesenden festgesetzte Stereotype (die die allermeisten von uns zwangsläufig verinnerlicht haben) und Vorstellungen darüber, wie die Welt zu sein hat, aufbrechen und Platz machen für Neues.

phantastisch-lesen: Was haltet ihr bei Piper in der nächsten Zeit für Eure Leser bereit. Auf was dürfen sich Fans besonders freuen?

Kathrin Dodenhoeft: Im Herbstprogramm 2021 wäre mein Tipp die Dilogie „Die Chroniken von Beskadur“ von James A. Sullivan: klassische High Fantasy, aber mit einem sehr besonderen, einzigartigen Worldbuilding und insgesamt sehr erfrischend und innovativ. Ich entschuldige mich für das Denglisch, aber zu dieser Dilogie sollte man den Genrebegriff „Wholesome Epic Fantasy“ neu erfinden. Die beiden Brücher brechen sehr stark mit etablierten Konventionen, behalten aber genug bei, dass man sich als High-Fantasy-Fan zuhause fühlt. Das ist einfach ganz wunderbar zu sehen. Der erste Band erscheint am 30.09.2021.

Darüber hinaus erscheint im Januar 2022 der schon erwähnte, mit einem Hugo Award prämierte Science-Fiction-Roman „Die Berechnung der Sterne“ von Mary Robinette Kowal, den ich jedem SF-Fan wirklich wärmstens ans Herz legen möchte. Das ist ein Buch für alle, die schon einmal nachts in den Sternenhimmel geschaut und die Sehnsucht danach gespürt haben, als Astronaut*in zu den Sternen zu fliegen. Der Rest des Programms lohnt sich aber selbstverständlich auch. Und im Frühjahr 2022 kommen noch viel mehr großartige Bücher, aber über die darf ich leider noch nicht reden.

phantastisch-lesen: Der Geheimtipp der Herausgeberin für die nächste Zukunft darf nicht fehlen ..?

Zerissene Erde N.K. Jemisin © Droemer Knaur
Zerissene Erde © Droemer Knaur

Kathrin Dodenhoeft: Puh, Geheimtipp ist schwer, eigentlich ist ja nichts Geheimes dran. Aber vielleicht ein für SF-Fans auf den ersten Blick nicht so offensichtliches Buch wie „All that’s left“ von der Debütautorin Sarah Raich. Es erscheint am 29.7. bei uns im IVI-Programm, ist auch im Grunde ein Jugendbuch. Aber eines, das für Erwachsene genauso spannend ist wie für Jüngere. Es geht darin um ein vom Klimawandel verwüstetes Deutschland und ein junges Mädchen, das in einem Prepper-Haus überlebt hat. Es ist ein bisschen wie „The Road“ von Cormac McCarthy, nur leichtherziger und hoffnungsvoller. All-Age-Hopepunk, könnte man sagen. Da würde ich an eurer Stelle auf jeden Fall mal reinlesen, mich hat es schwer begeistert.

Mein Geheimtipp aus den Programmen der Konkurrenz wäre übrigens „Erde 0“ von Micaiah Johnson. Das ist für mich der beste SF-Roman seit N. K. Jemisins „Broken Earth“-Trilogie gewesen. Lest es alle!

phantastisch-lesen: Vielen Dank, dass Du Dir für uns Zeit genommen hast und mit uns so ehrliche Einblicke in Deinen Werdegang und Deine Arbeit geteilt hast. Wir wünschen Dir und Deinem Verlagshaus für die Zukunft alles Gute!

Das Interview mit Kathrin Dodenhoeft für phantastisch-lesen führte Carsten Kuhr (mit einer Ergänzung von Eva Bergschneider) per E-Mail.

 

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