Die Frage nach der Verantwortung für gefährliches und nützliches Wissen
Willkommen zurück in Berlin. Einem Berlin der Zukunft, das allerdings mit der Metropole an der Spree, wie wir sie kennen, wenig zu tun hat. Eine Katastrophe suchte die Welt heim. Infolgedessen gibt es Magier, die sorgfältig über ihre Pfründe wachen und Mechaniker, die sich mit ihren Erfindungen an der Grenze des Erlaubten bewegen.
In dieser Welt lernten wir die Mechanikerin Mathilda, ihre Geliebte Ling sowie den Zauberer Fidelio kennen. Gemeinsam verhinderten sie das Schlimmste, mussten dabei aber herbe Verluste hinnehmen. Die Frau, die Mathilda mehr als ihr Leben liebte, ist nicht mehr. Eine Depression hat sie im Griff, zumal auch die andere Frau in ihrem Leben, Ling, spurlos verschwunden ist.
Die Stadt erwartet die Ernennung gleich drei neuer Großmeister. Fidelio steht vor der Entscheidung, ob er die geheime Bibliothek mit ihrem alten Wissen, das einst die Zerstörung brachte, für die Allgemeinheit öffnen sollte. Sonst geht in Berlin, zumindest oberflächlich betrachtet, alles seinen gewohnten Gang. Jedoch agieren die Gilden, die einander sowieso schon nicht grün sind, ungewohnt aggressiv: Es geht um Reichtum, um Einfluss und Macht.
Mathilda sucht verzweifelt ihre einstige Liebe Ling. Wo nur ist die Akrobatin abgeblieben, gibt es irgendwo Hinweise auf ihren Verbleib?
Die Spur führt sie zu einer Manege, in der Akrobaten ihre waghalsigen Kunststücke aufführen und gar wundersame Wesen ausgestellt werden. Unter diesen auch ein untoter Bär! Nun ist die magische Nekromantie seit Generationen verpönt, die Beschwörungen vergessen. Woher kommen auf einmal untote Wesen?
Mathilda und Fidelio machen sich auf, beide miteinander verbundenen Rätsel zu lösen. An Bord eines Luftschiffes geht es zunächst hinaus aufs offene Meer zu der Arche, der Hochburg der Mechanikae. Von dort aus fliegen sie weiter in Richtung Urwald. Denn die grüne Hölle beherbergt nicht nur Hexenzirkel, sondern auch Harpyien, Piraten, Zombis und das Gefährlichste: altes Wissen.
Eine Fortsetzung mit überzeugenden neuen Ideen
Noah Stoffers fesselte mich mit dem ersten Teil der postapokalyptischen Steampunk-Saga „Berlin – Rostiges Herz“ an die Seiten. Atmosphärisch dicht, vom Ansatz sehr interessant anders und mit glaubwürdigen, queeren Figuren ausgestattet, berichtete sier uns von einem ganz eigenen Berlin und einer faszinierenden Handlung um Verrat, Macht und Liebe.
Zwei Jahre später legte sier die Fortsetzung „Magische Knochen“ vor. Bisweilen fällt den Verfassenden für Folgebände wenig wirklich Neues ein, kredenzen uns den alten, ein wenig aufgewärmten Plot einfach noch einmal. In Noah Stoffers „Berlin“-Reihe ist dies glücklicherweise ganz anders. Nicht nur, dass sier sich neue Handlungsorte für uns hat einfallen lassen, auch die Storygrundlage differiert deutlich von dem ersten Band.
Ging es in „Rostiges Herz“ um die Machtpyramide in Berlin, um Freiheit und ein wenig auch um tragische Liebe, steht hier etwas Anderes im Vordergrund. Natürlich die große neue Bühne mit den Mechanikae, dem Urwald und dessen Bewohnern. Aber weit mehr noch geht es in „Magische Knochen“ um Verantwortung.
Wie geht man mit einem verbotenen Wissen um, das schon einmal die Vernichtung der Zivilisation auslöste? Wissen, das gefährlich ist, das aber auch Potential hat, den Menschen zu dienen. Wissen um die Heilung von Krankheiten, Wissen, wie man die Kräfte der Natur nutzen kann, ohne diese zu zerstören. Fragen, die Fidelio umtreiben. Mathilda ist oberflächlich betrachtet, desbezüglich ein wenig rustikaler aufgestellt. Deswegen oberflächlich betrachtet, weil sie sich ihrer Verantwortung für ihre Umwelt, für die Menschen um sie herum durchaus bewusst ist und sich hier positionieren muss.
Dies alles verleiht der Handlung Tiefgang, ohne dass es überfrachtet wirkt und die Lesefreude trübt. Stoffers hat sich so einiges einfallen lassen, um Spannung zu erzeugen. Es warten gefährliche Gegner, Kämpfe und Offenbarungen satt auf uns Lesende.
Als selbstverständlicher Bestandteil sind die queeren Beziehungen, die Akzeptanz von Menschen anderer Hautfarbe oder einem dritten Geschlecht in den Plot inkludiert. Vergleiche ich diese Geschichte zum Beispiel mit dem erhobenen Zeigefinger bei Star Trek Discovery, stelle ich fest, das Stoffers diese Aspekte wunderbar stimmig und wesentlich eleganter umgesetzt hat.
Dazu gesellen sich die durchaus heftigen, verbalen Diskussionen zwischen unseren beiden Handlungsträgern, das große, dunkle Geheimnis um Lings Profession und Schicksal, die Frage, was intelligentes Leben ist und vieles mehr.
Fazit
Insgesamt begeisterte mich „Magische Knochen“ dermaßen, dass ich es, nachdem es einmal vom Stapel zur Hand genommen war, an einem Tag verschlang. Das passiert leider nicht mehr so häufig und spricht natürlich für den Roman, den ich Jedem ans Herz legen kann. Man muss dafür den ersten Teil nicht unbedingt kennen, ich empfehle aber trotzdem „Rostiges Herz“ vorab zu lesen. Beide Bücher lohnen sich!
Carsten Kuhr
Anmerkung der Redaktion: Noah Stoffers „Berlin“-Reihe erscheint noch unter dem Namen Sarah Stoffers.
Berlin, Band 2
Steampunk/Fantasy
Amrûn Verlag
Juli 2021
Buch
446
Claudia Tomann
92