Ein magisches Zukunftsmärchen
Patricia und Laurence sind Außenseiter. Das Mädchen beschäftigt sich mit übernatürlichen Kräften, der Nachwuchs-Nerd mit seiner Zeitmaschine (die ihn zwei Sekunden in die Zukunft schickt) und einem Supercomputer. Obwohl beide sehr unterschiedliche Menschen sind, finden sie zusammen. Aus der Zwangsgemeinschaft, geschmiedet gegen die Anfeindungen der Mitschüler, wird echte Freundschaft. Patricia gaukelt Laurence Eltern vor, ihn für die Natur zu begeistern und füttert heimlich seinem Supercomputer mit Input. Doch als Theodolphus Rose als Lehrer an ihre Schule kommt, wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Er erzählt Patricia von seiner Weltuntergangsvision und verlangt etwas Schreckliches von ihr.
Einige Jahre später treffen sich Patricia und Laurence in San Francisco wieder, beide haben ihren Traum wahrgemacht. Sie ist nun eine ausgebildete Hexe und er ein Wissenschaftler für Zukunftstechnologie. Patricia heilt unbemerkt Menschen, denn ihr Hexenzirkel wacht streng über sie. In ihrer Ausbildung hat sie einen folgenschweren Unfall verursacht. Laurence baut eine Antigravitationsmaschine und begeht ebenfalls einen fatalen Fehler. Patricia muss ihn heraus boxen und dadurch kommen sich beide näher. Doch die Apokalypse naht, Rose Prophezeiung scheint sich zu bewahrheiten. Magie kämpft gegen Wissenschaft und beide Seiten setzen ihre talentiertesten Vertreter ein: Patricia und Laurence.
Mehr Fantasy? Mehr Science-Fiction?
Charlie Jane Anders hat es in ihrem Debut-Roman „Alle Vögel unter dem Himmel“ riskiert, die schwer zu vereinbarenden Genre Fantasy und Science-Fiction zu mischen. Thematisch und im Aufbau erinnert die Geschichte an „Herr aller Dinge“ von Andreas Eschbach. Beide Romane erzählen im ersten Teil aus der Kindheit ihrer Protagonisten, einem hochintelligente Nerd und einem Mädchen mit übersinnlichen Fähigkeiten. In der zweiten Hälfte geht es jeweils um die Zukunft unserer Welt.
Patricia und Laurence entdecken, dass sie sich im Feld Esoterik versus Naturwissenschaften an entgegengesetzten Polen befinden. Ihre Fähigkeiten ergänzen sich und gemeinsam könnten sie etwas Großes erschaffen. Ihre Eltern und Lehrer vereiteln diese Chance jedoch zunächst.
Der schwierige Weg der beiden Teenager liest sich spannend und unterhaltsam, wozu auch der bildhafte Schreibstil der Autorin beiträgt. Die Dinge des Lebens benennt sie konkret, oft mit umgangssprachlichen Worten. Gerade deswegen wirken ihre Beschreibungen lebendig und authentisch und sind auf eigene Weise schön. Selbst in harten Szenen sorgen humorvolle Spitzen dafür, dass die Atmosphäre nicht zu depressiv wird. Die Übersetzerin Sophie Zeitz hat großartige Arbeit geleistet und den ausgefallenen Stil der Autorin authentisch ins Deutsche übertragen.
Nach dem Wechsel in die Erwachsenenwelt hängt der Spannungsbogen zunächst durch, auch weil einige Handlungselemente isoliert wirken. Zum Teil erklärt die Autorin später die Zusammenhänge, schließt aber nicht alle Lücken. Die Apokalypse braut sich irgendwo in der Welt zusammen, aber nicht in San Francisco. Wie sie sich entwickelt, erfahren wir nicht. Als der Weltuntergang schließlich Patricia und Laurence erreicht, überschlagen sich die Ereignisse. Für Erklärungen ist keine Zeit.
Mr. Rose wiederholt seine düstere Prophezeiung, spielt aber darüber hinaus keine Rolle mehr. Sein Motiv bleibt unklar und die Story wäre gut ohne ihn ausgekommen. Ohne Erklärung führt die Autorin das Caddy (soziales Netzwerk und Dating App in einem) in die Handlung ein. Später wird klar, was es mit dem Caddy auf sich hat und es dient einem überraschenden Wendepunkt.
Warum nicht etwas mehr von allem?
Eine große Stärke dieses Romans liegt in den schrägen, liebevoll überzeichneten und dennoch glaubwürdigen Protagonisten mit hohem Identifikationspotenzial. Ihre gegensätzlichen Standpunkte und skurrilen Talente sind die Essenz der Botschaft dieser Geschichte: Unsere Zukunft braucht die Symbiose von innovativer Zukunftstechnologie mit Naturschutz, und Nachhaltigkeit. Die Story prangert zudem Konformität und stromlinienförmiges Leistungsdenken an. Als Kinder leben Patricia und Laurence gegen alle Widerstände ihren Traum. Eingenordet in gesellschaftliche Zwänge des Erwachsenenlebens drohen sie zu scheitern. Mit fatalen Folgen.
Charlie Jane Anders hat mit „Alle Vögel unter dem Himmel“ einen mutigen Roman geschrieben, der elementare Gedanken über die Zukunft in eine dramatische und zugleich hoffnungsvolle, märchenhafte Geschichte verpackt. Etwas runder erzählt und mit einigen Hintergrundinformationen ausgestattet, wäre daraus ein außergewöhnlicher Roman geworden. So ist „Alle Vögel unter dem Himmel“ eine erhellende und schöne Geschichte, der etwas Fundament und Feinschliff fehlt.
Eva Bergschneider
Fantasy/ Science-Fiction
Fischer-Tor
März 2017
416
Funtastik-Faktor: 68