Wir haben den technologischen Wandel und wir brauchen auch einen Wandel der Gesellschaft, wenn unser Leben weiterhin lebenswert bleiben soll.
Amandara M. Schulzke und Eva Bergschneider trafen Andreas Brandhorst zum Interview auf der Frankfurter Buchmesse. Nach der „Think Ursula“ Veranstaltung auf dem dunkel werdenden Messegelände entwickelte sich das Interview zu einem spannenden Gedankenaustausch nicht nur über Science-Fiction Literatur, sondern die Zukunft unserer Gesellschaft.
Phantastisch-lesen: Andreas Brandhorst, warum schreiben Sie Science-Fiction Literatur? Was bietet dieses Genre Ihnen als Schriftsteller, was andere Literatursparten vermissen lassen?
Andreas Brandhorst: Ich bin als Junge in den 60er Jahren zur Science-Fiction gekommen, als ich Raumpatrouille Orion im Fernsehen gesehen habe. Ich war 9 oder 10 Jahre alt und es hat mich umgehauen. Der Weltraum, unendliche Weiten, diese Grenzenlosigkeit. Schon ein paar Jahre später, so mit 12 Jahren, habe ich meine ersten Science-Fiction Romane geschrieben, die natürlich nichts taugten. Sie landeten in der Schublade. Mein erster mit 19 Jahren veröffentlichter Roman war auch ein Science-Fiction Roman. Durch diese Begeisterung, die ich als Junge hatte, bin ich zur Science-Fiction gekommen.
Phantastisch-lesen: Welcher Roman war das?
Andreas Brandhorst: Das war 1975 ein Beitrag für eine Heftromanserie im Zauberkreis-Verlag, den es heute nicht mehr gibt. „Die Unterirdischen“ hieß er. Ende der 70er Jahre kam die Heftserie „Terranauten“ vom Bastei-Verlag heraus und das war mein Sprung in den Profi-Sektor. Als Mitglied der Autorengemeinschaft der „Terranauten“ habe ich das Schreiben zu meinem Hauptberuf gemacht.
1984 bin ich nach Italien ausgewandert. Um den Lebensunterhalt für meine Familie zu sichern, reichte das Schreiben nicht aus. Daher habe ich auch übersetzt. Einige Jahre später kam von Heyne das Angebot, Terry Pratchett zu übersetzen. Es wusste zu dem Zeitpunkt noch niemand, dass der einmal so ein berühmter Mann werden würde.
Anfang der 2000 er Jahre habe ich beschlossen, wieder hauptsächlich als Autor zu arbeiten, und seit knapp 20 Jahren schreibe ich eigene Bücher. Die Science-Fiction fasziniert mich immer noch. Diese Faszination, die der zehnjährige Andreas Brandhorst hatte, ist immer noch da. Als reifer Schriftsteller weiß ich zudem, welches Instrumentarium mir die Science-Fiction gibt. Das ist einfach die größte Bühne, die man sich als Autor vorstellen kann. Eine Bühne so groß wie das ganze Universum, auf der ich alles inszenieren kann. Ich habe als Autor das Gefühl, dass ich mit der Science-Fiction Werkzeuge zur Verfügung habe, die mir andere Literaturgattungen nicht geben. Das ist der große Unterschied.
Ich schreibe auch andere Bücher, Near-Future Romane wie „Das Erwachen“ und „Ewiges Leben“. Das ist ebenfalls spannend aber es sind andere Geschichten mit einer anderen Werkzeugkiste. Ich mag diesen Wechsel zwischen Science-Fiction und Thriller. Ich habe das Gefühl, es werden zwei verschiedene Arten von Kreativität angeregt.
Phantastisch-lesen: Als langjährig etablierten Science-Fiction Autor muss ich Sie einfach fragen: Wie beurteilen Sie den Stellenwert von SF-Literatur in Deutschland? Sind auch ihre Bücher Teil des Booms geworden, gepuscht durch moderne Science-Fiction zum Beispiel von Becky Chambers?
Andreas Brandhorst: Das ist schwer zu beurteilen. Die allgemeine fantastische Literatur, Fantasy und Science-Fiction, fristete bis vor 20 Jahren ein Nischendasein. Dann setzte eine Entwicklung ein, die dazu führte, dass sich deutsche fantastische Literatur und anglo-amerikanische auf Augenhöhe begegnen. Wir haben heute ganz andere Möglichkeiten der Publikation, zum Beispiel Self-Publishing. Ein Sektor der immer mehr wächst und an Bedeutung gewinnt. Aber auch die Verlagslandschaft ist sehr lebendig geworden. Die Publikumsverlage und kleinen Verlage sorgen dafür, dass die Situation der deutschen SF so gut ist, wie nie zuvor. Die deutsche Science-Fiction ist erwachsen geworden.
Phantastisch-lesen: Die moderne Science-Fiction ist eines der vielfältigsten Literaturgenres. Von Hard-SF und Space Opera über Social-SF bis hin zum Grenzbereich zur Fantasy ist alles dabei. Wo würden Sie ihr eigenes Werk einordnen?
Andreas Brandhorst: Ich schreibe am liebsten ganz groß und auf die breite Leinwand mit ganz vielen Farben, sozusagen den Monumentalfilm. Die Space Opera hat mir immer gut gefallen, aber nicht in der Art von Star Wars (das ja eher zur Fantasy gehört ;-)). Ich mag die großen Entwürfe, sie haben mich immer fasziniert. Zum Beispiel „Der Wüstenplanet“ von Frank Herbert, dieses Monumentale und Gewaltige. Oder „Hyperion“ von Dan Simmons. Vor solchen Werken ziehe ich den Hut, weil ich nicht nur in eine Welt eintauche, sondern in ein ganzes Universum. Das hat mich immer begeistert und so schreibe ich auch gern. Meine Welten sind sehr groß. Was in meinen Romanen als Handlung erscheint, ist immer nur die Spitze des Eisbergs. Das große Ganze dahinter spürt der Leser aber, ich hoffe es zumindest. Der Hintergrund ist da und ich habe ihn entwickelt. Eine erfundene Welt wird dadurch plastisch, dass viel Unterbau vorhanden ist, aber nur ein Teil davon für die Handlung verwendet wird.
Phantastisch-lesen: Könnten Sie sich einen kompletten Richtungswechsel vorstellen und zum Beispiel Historische Literatur oder reine Belletristik schreiben?
Andreas Brandhorst: Absolut. Ob ich zum Schreiben eines historischen Romans fähig wäre, weiß ich nicht, weil man in der Recherche verdammt genau sein muss. Ich würde mich vielleicht zu eingeengt fühlen. Sonst würde es mich sehr reizen, etwas anderes zu schreiben und ich tue es ja auch schon. Wie gesagt, es ist eine andere Art von Kreativität. Wenn ich einen Science-Fiction Roman fertig habe und mit einem Thriller anfange, fühlt es sich so an, als wenn ein anderer Teil meines Gehirns dafür zuständig wäre. Der Science-Fiction-Teil des Gehirns ruht sich aus und lädt seine Batterien wieder auf für den nächsten Roman. Ich finde es intellektuell sehr herausfordernd, unterschiedliche Bücher zu schreiben.
Phantastisch-lesen: Außer als Science-Fiction Autor kennt man Sie als Übersetzer der älteren Terry Pratchett Bücher. Die Arbeit ihrer Nachfolger wurde in der Fan-Community teils begeistert, teils kritisch aufgenommen. Kennen Sie die Arbeit von Gerald Jung und Regina Rawlinson und wie bewerten Sie sie?
Andreas Brandhorst: Die Antwort ist ganz einfach und heißt: nein. Das Einzige was ich weiß ist, dass sich die Figuren auf der Scheibenwelt nun siezen. Ich kenne die Übersetzungen nicht und ich würde mich hüten, die Arbeit von Kollegen zu beurteilen. Ich glaube, dass sich alles weiterentwickelt. Jeder Übersetzer hat seine Perspektive und seine Handschrift und das hat seine Berechtigung. Man muss dazu allerdings anmerken, dass meine Ausgangssituation eine ganz andere war. Als ich anfing, die Scheibenweltromane zu übersetzen, wusste noch niemand, dass es einmal so viele werden würden. Es gab zwei Romane und für die war ursprünglich ein anderer Übersetzer vorgesehen. Der fiel aber aus und ich bekam in Italien einen Anruf vom Heyne Verlag. Der Job war ganz dringend und musste sofort erledigt werden. Ich war einfach froh über den Auftrag, der für meine Familie zum Lebensunterhalt beitrug. Ich nahm an und ging davon aus, dass es sich nur um diese zwei ersten Romane handelt. Niemand wusste, dass daraus eine Serie mit fast 30 Romanen werden würde. Mit der Serie haben sich allerdings die Welt und auch der Autor weiterentwickelt. Für Übersetzer, die eine Serie von Anfang an über viele Bände begleiten, entsteht ein Kontinuitätsproblem. Das bedeutet, dass man sich zu Anfang für eine bestimmte Art der Übersetzung entscheidet. Bei mir haben sich alle Personen geduzt. Ich konnte nicht im sechsten Band dazu übergehen, die Figuren sich gegenseitig siezen zu lassen. Dann hätten sich die Leser gewundert und gefragt, warum die Anrede geändert wurde. Die Welt in den fortlaufenden Bänden muss plausibel und kontinuierlich bleiben. Bestimmte Begriffe von Terry Pratchett habe ich auf eine bestimmte Weise übersetzt. Wenn der Autor die später geändert hat, bin ich bei meiner Übersetzung geblieben, um die Welt kontinuierlich zu gestalten. Wenn heute ein Kollege die „Scheibenwelt“ Romane neu übersetzt, hat er alle vorherigen Romane zur Verfügung, hat das Wissen aus diesen Romanen und kann ganz anders planen. Er hat dadurch einen Startvorteil. (Tom Orgel hat sich in der Rezension zu Terry Pratchetts „Steife Prise“ zur Übersetzung geäußert.)
Phantastisch-lesen: Das Thema Unsterblichkeit/Langlebigkeit zieht sich als roter Faden durch einige Ihrer aktuellen Romane. Im „Omniversum“ gehören die Protagonisten zu einer extrem langlebigen Superzivilisation. Auch in „Das Schiff“ sind Menschen unsterblich. In Ihrem aktuellen Roman „Ewiges Leben“ steht die Unsterblichkeit im Mittelpunkt der Handlung und zur Diskussion. Was genau fasziniert Sie an diesem Thema derartig, das sie nicht davon lassen können?
Andreas Brandhorst: Ich empfinde es als kolossale Verschwendung, dass wir irgendwann sterben müssen. Da verbringt man 70-80 Jahre damit zu lernen, Erfahrungen zu machen und nimmt sich vor, die Dinge zu verbessern. Irgendwann wird es dunkel und all diese Mühen waren umsonst. Das finde ich absolut widerlich und so etwas von ungerecht. Dieses Thema beschäftigt mich seit vielen Jahren, solange ich zurückdenken kann. Ich hatte immer dieses Ungerechtigkeitsgefühl. Ich schrieb darüber und fragte mich „Wie wäre es, wenn das nicht so wäre? Wenn wir ein ewiges Leben hätten?“ Ich verarbeitete auch das Erinnerungsproblem in meinen Romanen, die Frage: „Was passiert mit unserem Geist, wenn wir nicht mehr mit den Erinnerungen von 70-80 Jahren fertig werden müssten, sondern mit denen von 100, 1000 oder 10000 Jahren?“. Man stelle sich diese Massen an Daten vor, die irgendwo Platz haben müssten in unserem Gehirn.
Ein weiterer Aspekt ist der technologische. Die Technologien, die in den nächsten Jahren unsere Welt nachhaltig verändern, Künstliche Intelligenz und Gentechnik. Dabei bin ich schnell auf die Möglichkeit gestoßen, dass die Unsterblichkeit nicht nur ein Phantastikum ist. Eine Idee, die man literarisch verarbeiten kann, die aber nie Wirklichkeit wird. Sondern dass diese Idee in der Realität in greifbare Reichweite rückt. Genau das thematisiert der Roman „Ewiges Leben“, der gerade erschienen ist. Die Frage „Was würde mit unserer Welt geschehen, wenn wir wirklich unsterblich werden?“
Phantastisch-lesen: Was würde denn geschehen?
Andreas Brandhorst: Die erste Konsequenz wäre, dass unser Rentensystem kollabieren und nicht mehr funktionieren würde. Doch was würde global geschehen, wenn die Menschen nicht mehr sterben, aber weiterhin geboren würden?
Phantastisch-lesen: Ich möchte zuerst einen Schritt zurückgehen und mir vorstellen, was passieren würde, wenn wir uns Richtung Langlebigkeit entwickeln würden. Wenn Die durchschnittliche Lebenserwartung um einige Jahre und auch das Fortpflanzungsalter ansteigen würde. „Make Cancer Historie“ lautet zum Beispiel der Slogan meines Arbeitgebers und dieses Ziel ist tatsächlich erreichbar. Was wären Ihrer Meinung nach gravierende Probleme, die unserer Gesellschaft daraus entstünden?
Andreas Brandhorst: Der Roman „Ewiges Leben“ spielt 10-15 Jahre in der Zukunft und der Krebs ist besiegt, die Menschen leben länger. In der Realität hätten wir dadurch das Problem mit der Rentenversicherung. Wir haben jetzt schon die Situation mit einer überalterten Bevölkerung. Dieses Problem würde sich massiv verschärfen, immer mehr junge Menschen müssten für immer mehr alte Menschen arbeiten. Wenn man eine plausibel Vision der Zukunft zeichnen möchte, sollte man allerdings nicht nur einen Aspekt berücksichtigen, sondern mehrere. Wir haben außer der Langlebigkeit den Klimawandel und die Künstliche Intelligenz. Ich als Autor muss dies alles in einen möglichst plausiblen Entwurf einer zukünftigen Welt packen. Durch die Künstliche Intelligenz werden wir einen unglaublichen Zuwachs an Produktivität bekommen. Dadurch werden weitere Arbeitsplätze vernichtet, und wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Diese Entwicklung kombiniert mit der Langlebigkeit würde positiv betrachtet bedeuten, dass wir mehr Lebensqualität bekämen. Krankheiten wären besiegt, und durch die gesteigerte Produktivität könnten wir unser Leben mehr genießen und ein erfüllteres Leben führen. Aber das würde nur in einer Gesellschaft funktionieren, die nicht mehr so strukturiert wäre wie die heutige. Wenn wir nur die Rahmenbedingungen ändern würden und nicht die Gesellschaft, käme es zu massiver Arbeitslosigkeit. Zu Altersarmut, viel krasser, als sie es heute schon ist. Wir haben den technologischen Wandel und wir brauchen auch einen Wandel der Gesellschaft, wenn unser Leben weiterhin lebenswert bleiben soll.
Phantastisch-lesen: Lesen Sie ähnliche Werke von ihren Kollegen wie „Daemon“ von Daniel Suarez? Wie sehen sie ihr Werk im Vergleich?
Andreas Brandhorst: Natürlich. Aber ich muss sagen, dass ich relativ wenig Science-Fiction lese. Ich lese mehr allgemeine und wissenschaftliche Literatur um auf dem Laufenden zu bleiben. Ich sehe mich nicht in Relation zu anderen Autoren, denn jeder hat seinen eigenen Stellenwert und jeder muss seinen Weg gehen. Ich versuche jede Geschichte so gut zu erzählen, wie ich kann. Ob ich besser oder schlechter bin als andere, diese Vergleiche finde ich sinnlos.
Phantastisch-lesen: Ich meinte eher, wo Sie ihre spezielle Nische sehen. Das Thema KI hat Suarez auch bearbeitet.
Andreas Brandhorst: Aus der allgemeinen Literatur gibt es ebenfalls viele Autoren, die über KI geschrieben haben. Bücher die nie als Science-Fiction erschienen sind, wie ja auch meine Romane als Thriller vermarktet werden. Es gibt viele Bücher darüber, weil es ganz einfach ein heißes Thema ist. Auch Frank Schätzing hat sich in „Die Tyrannei des Schmetterlings“ mit KI beschäftigt.
Ganz allgemein bin ich davon überzeugt, dass wir in einer Epoche leben, auf die zukünftige Generationen zurückblicken werden. Sie werden sagen „Das waren die Jahre des ganz großen Umbruchs in der Menschheitsgeschichte.“ Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte hat ein so rasanter technologischer Wandel stattgefunden wie jetzt. Die erste industrielle Revolution hat 100 Jahre gedauert, und die derzeitige digitale und technologische Revolution erleben wir in wenigen Jahren. Viele Menschen kommen nicht damit klar.
Phantastisch-lesen: Die Frage ist, was das mit unserer Gesellschaft macht und ob wir mit der Entwicklung mitkommen.
Andreas Brandhorst: Die gesamte gesellschaftliche Entwicklung hinkt hinterher. Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen erübrigt sich, denn es wird kommen müssen. Die Dinge, die wir produzieren mit Maschinen, mit künstlicher Intelligenz, die müssen gekauft werden und die Menschen brauchen Geld dafür.
Phantastisch-lesen: Vielen DANK, Andreas Brandhorst für dieses äußerst spannende Gespräch.
Liebe Leser,
hier findet ihr die Audiodatei von dem Interview. Ich hatte nicht geplant, sie zu veröffentlichen, deshalb fehlen Einleitung und Verabschiedung. Dafür bekommt ihr aber einen guten Eindruck davon, wie entspannt und intensiv die Gesprächsatmosphäre war.
Ein Gedanke zu „Interview mit Andreas Brandhorst“