Gritty & Funny auf einer Queste durch Apocalyptica
Mit der Novelle „Halbar von Malan-Die letzte Prüfung“ stieg Ivan Ertlov in die Fantasy ein. In ihr er stellte Protagonisten und Welt für eine ganze Reihe von Romanen um den Klingensänger Halbar vor. Mit „Zwergenstahl und Drachenfeuer-Die Königin von Hamb“ beginnt diese Reihe und sie erfordert nicht unbedingt das Wissen aus der Novelle.
Die Geschichte ist als Queste mit zunächst drei, dann vier und später fünf Helden angelegt, die kaum sonderbarer sein könnten. Zum einen Halbar, der Klingensänger, ein durch Dämonenmagie erschaffener Krieger mit Superkräften, den der Blutfluch alles Dämonische zu vernichten zwingt. Dazu kommt der Schwarzmagier Yorrick, der ständig unter Halbars Beobachtung steht, ob er auf der richtigen Seite kämpft. Nicht aus der Novelle bekannt sind Hauptfrau Lieke, eine prinzipientreue Kämpferin. Und die Halbalbrae Kyara, als Botschafterin aus dem Reich der Tha.
König Utbrecht vom Reich Farank (Frankfurt) bereitet sich auf einen Krieg gegen das Königreich Hamb vor. Eigentlich möchte er keinen Krieg führen, doch seine Händler werden immer wieder überfallen und gemeuchelt. Sein Neffe Kronprinz Juri drängt auf Vergeltung, kauft Waffen und stellt ein Heer auf. Dem König wird wenig anderes übrigbleiben, als gegen Hamb zu Felde zu ziehen. Doch zuvor bleibt ihm eine Option: Halbar, Yorrick und Kyara als Unterhändler zur Wasserhexe nach Hamb zu schicken.
Das Königreich Hamb (Hamburg) bietet all jenen eine Heimat, die anderswo nicht willkommen sind: mutierte Wesen in allen Hautfarben und mit beliebig vielen Extremitäten und Köpfen. Die Königin selbst wurde, ähnlich wie Halbar, das Opfer von Mutationsexperimenten. Auch sie möchte keinen Krieg und beteuert, nichts mit den Überfällen zu tun zu haben. Daher schickt sie die illustre Truppe, inzwischen von Hauptfrau Lieke begleitet, sowie ihren Albrae Spion Ilgar Waldessang hinaus, die wahren Übeltäter zu finden. An einem Ort, den es nicht gibt, werden die fünf fündig und entlarven eine wahrhaft dämonische Verschwörung.
Balance zwischen Stereotyp und Originalität
Wer die Bücher von Ivan Ertlov kennt, weiß, dass er keine typische Phantastik-Literatur schreibt. Sondern sich vielmehr der grundlegenden Elemente des Genres bedient, um daraus eine höchst eigenwillige, verrückte und humorvolle Adaption zu schmieden. Mit überzeichneten Figuren, sprachlichen Eigenkreationen und zahlreichen Reminiszenzen an Gegenwart und Popkultur. Dies findet sich, in unterschiedlicher Ausprägung, in seinen Science-Fiction Werken und auch in seiner Fantasy.
Figuren und Welt eindrucksvoll skurril
Die beiden Helden Klingensänger Halbar und der dämonische Magier Yorrick führte der Autor bereits in der Novelle ein: Zwei Stereotypen, die originelle Hintergründe mitbringen. In „Zwergenstahl und Drachenfeuer“ erfahren wir noch mehr darüber, wie sie zu denen wurden, die sie sind. Der übernatürliche Kämpfer, den seine Kunst verlässt, sobald sich der Gegner als Nicht-Dämon herausstellt. Und Yorrick, ein griesgrämiger, unscheinbar wirkender Mann, der den Harmlosen spielt, bis seine dunklen Künste benötigt werden. Sie bilden ein ungleiches, sich perfekt ergänzendes Paar.
Wie einem Wonder Women-Klischee entsprungen wirkt die Halbalbrae Kyara, eine schnelle Bogenschützin und Diplomatin. Ihre Promiskuität gegenüber verheirateten Frauen und Männern erinnerte mich zunächst an meine Misogynie-Kritik zu der „Halbar“ Novelle. Zu Unrecht. Kyara überzeugt als mutige und kluge Frau, die eine Gewohnheit pflegt, die ihrem kulturellen Erbe entspricht. Der gegenwartsbezogene Hintergrund dazu ist allerdings ein überzeugendes Argument für ein Sensitivity Reading. Die disziplinierte Soldatin Lieke ist ebenfalls für interessante Überraschungen gut. Lediglich der Albrae Waldessang bleibt trotz des schillernden Namens eher blass. Was die Figuren angeht, gelingt Ivan Ertlov der Spagat zwischen Anlehnung an Fantasy-Klischees und authentischen Persönlichkeiten.
Für den Weltenbau hat der Autor ein Setting im postapokalyptischen Deutschland erdacht. Als ‚Fall‘ wird eine Zeitepoche bezeichnet, die unsere moderne, ein wenig in die Zukunft gedachte Gesellschaft zerstörte. Aus den verbliebenen Resten entwickelte sich eine archaische Welt mit Bewohnern, die wir aus der High-Fantasy kennen: Elfen beziehungsweise deren dunkles Pendant, Albrae, sowie Drachen, Zwerge, Zauberer und allerlei chimäre Wesen. Dazu gesellen sich Monster, Mutanten und Magie. Die von Menschen bevölkerten Städte erinnern an die Feudalgesellschaften des Mittelalters und die öden Landschaften dazwischen an mutierte Todeszonen. Hamb nimmt eine originelle Sonderstellung ein, als Ort für Ausgestoßene und gelebte Diversität. Im Laufe der Geschichte wird ein wenig klarer, um wen und was es sich bei den Dämonen aus der Zeitepoche vor dem Fall wirklich handelt. Was einen interessanten Wendepunkt darstellt.
Ivaneske Sprache und typischer Humor
In Bezug auf Sprache und Humor ist Ertlov wieder ganz in seinem Element. Die Bezeichnung „trump“ als Synonym für dumm, ist kein Verschreiber und Elektrizität als „Tron“ zu bezeichnen, eine von vielen Hommagen an die Pioniere des Gamings. Und so gibt es zahlreiche Bezüge zwischen Ivans Wortkreationen und Dingen und Ereignissen aus unserer Zivilisation. Was gut zu Historie und Weltenbau passt. Die Wortspiele gelingen unterschiedlich gut. Während die Mutanten-Version von Modern Talking mit dem entsprechenden Foltergesang eher lahm daherkommt, ist ein Dialog zwischen Halbar und Yorrick über „Bielfeld“, die Stadt, die es nicht gibt, tatsächlich lustig.
Fantasypunk?
„Zwergenstahl und Drachenfeuer-Die Königin von Hamb“ hat etwas von Punk. Figuren, Dialoge und Kampfszenen stattete der Autor mit überraschenden, teils bizarren Details aus, strapazierte und brach die gängigen Klischees des Genres. Was positiv ist, solange es nicht einem Selbstzweck, sondern der Geschichte dient. Leider tritt der Storyaufbau zu oft hinter dem überbordenden Weltenbau, den Wortspielen und Anspielungen zurück.
Beim Onlinehändler mit A äußert ein Fan des Buchs, dass man die Story nur schwer wiedergeben kann, ohne zu spoilern. Das trifft ohne Frage zu, liegt jedoch daran, dass sie recht dünn ist. Fast die Hälfte des Buchs ist gelesen, bevor Relevantes passiert. Bis dahin nicht viel mehr als Beschreibungen, Begegnungen und Gerede. Meine innere Hobby-Lektorin wollte einige Male „Show, don’t tell“ an den Rand schreiben. Dazu kommt, dass das innere Kopfkino eher Trick- denn Realfilm produziert, wenn ständig Augen und Münder aufgerissen und Bewegungen abrupt gestoppt werden. Ein wenig Trash gehört zum Punk, führt aber dazu, dass man das ohnehin magere Geschehen nicht ernst nehmen kann. Ohne Storybezug gelingen auch die Anspielungen nicht. In der zweiten Hälfte kommt endlich die eigentliche Handlung in Gang und siehe da, schon funktionieren auch die Wortspiele und Bezüge zu unserer Gegenwart. Es folgen spannende Szenen, vollgepackt mit politischen und historischen Seitenhieben, sowie Kämpfen. Mit Kampfszenen tue ich mich oft schwer. Aber Ertlov weiß sie mitreißend zu inszenieren. Hier zahlt sich seine Erfahrung als Game-Designer aus.
Fazit
„Zwergenstahl und Drachenfeuer-Die Königin von Hamb“ von Ivan Ertlov kann allen LeserInnen empfohlen werden, die schräge, leicht trashige Fantasy mit originellem Wortwitz und innovativem Weltenbau mögen. Wer allerdings etwas höhere Ansprüche an die Geschichte stellt, einen Spannungsbogen oder zumindest einen strukturierten Storyaufbau wünscht, wird sich besonders am Anfang mit dem Roman eher langweilen. Trotz der schillernden Charaktere, die sich achtbar durch eine monströse Welt kämpfen.
Eva Bergschneider
Tanz des Klingensängers, Band 1
Grimdark Fantasy
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Juli 2020
367
Ivan Ertlov
Funtastik-Faktor: 70