Die Wächterinnen von New York (The Great Cities 1) – N. K. Jemisin

Verbünde Dich! Kämpfe! Lebe!

Die Wächterinnen von New York (The Graet Cities 1) - N. K. Jemisin © Tropen Verlag, grauer Hintergrund, Silhouette Manhattan, Williamsburg Bridge von unten, pink, gelb, blau abgesetzte Ränder mit verschobenen Umrissen, Schriftfarbe gelb und weiß
Die Wächterinnen von New York © Tropen Verlag

Der Kettenraucher Paulo begleitet New York bei der Geburt seiner Stadt. In „Die Wächterinnen von New York“ ist „die Stadt lebt“ nicht nur einfach eine Metapher für turbulentes Treiben in einer Stadt. Die Geschichte beginnt damit, wie New York geboren und zugleich attackiert wird. Der Avatar der Stadt New York, ein schlaksiger Schwarzer, der ihre dunkelsten Ecken mit Street-Art verziert, ist nach dem Kampf mit dem weißen Feind bewusstlos. Paulo, sein Pate aus der brasilianischen Metropole São Paulo, sucht Hilfe. Und findet sie in weiteren Avataren, die die Stadtbezirke Bronx, Brooklyn, Manhattan und Queens verkörpern.

Jeder Stadtteil-Avatar bringt die Seele des Bezirks und besondere Fähigkeiten mit in den Kampf gegen einen übermächtigen Feind. Manny, ein neuer Bewohner der Stadt mit undefinierter Hautfarbe, verlor sein Gedächtnis. Dafür gewann er Kräfte, mit denen er Tentakel verseuchte Autos bekämpft. Es gelingt ihm, die homophobe und fremdenfeindliche Frau in die Flucht zu schlagen, die den weißen Feind verkörpert.

Die indigene Bronca vertritt die Bronx. In ihrer Kunstgalerie, betrieben von diversen PoC Frauen, bekommt sie es mit einer Neonazi-Gruppe zu tun, die die Ausstellung ihrer rassistischen und sexistischen Bilder erzwingen will. Mit allen Mitteln. Brooklyn war einst Rapperin, dann Anwältin und arbeitet nun für den Stadtrat. Trotzdem bekommt sie es mit Immobilienspekulanten zu tun, die ihr ihre Brownstone-Häuser wegzunehmen versuchen. Obendrein bedrohen weiße Tentakelwesen ihre Familie. Die Inderin und Mathematikerin Padmini schließlich wird zu Queens und rettet mit Formeln die Enkel ihrer chinesischen Nachbarin vor weißen Tentakeln.

Doch zur Rettung New Yorks sind alle fünf Stadtteile nötig. Auf welcher Seite steht Staten Island?

New Yorker Seelen gegen White Superior Tentakel Terror

„Die Wächterinnen von New York“ (Originaltitel „The City we became”) von der preisgekrönten SF- und Fantasy-Autorin N. K. Jemisin erzählt eine abgedrehte, phantastische Geschichte über den Überlebenskampf New Yorks gegen einen Antagonisten, der gesellschaftliche Missstände dieser Welt repräsentiert. Die Stadt und ihre Stellvertretenden kämpfen gegen Armut, Gentrifizierung, Sexismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Queer-Feindlichkeit und Diskriminierung. Die Heldinnen dieser Geschichte sind People of Colour, ihre Gegner: die Gesellschaft der Weißen. Der weiße Feind will mit allen Mitteln die Geburt einer Stadt verhindern, die eine multikulturelle Seele hat. Die durch kulturelle Vielfalt lebt und aus indigenen Wurzeln gewachsenen ist.

Zwischen Cthulhu-Monstern, Marvel und Museum

Den weißen Feind stellt die Autorin als Frau in Weiß, ihre Helfer als weiße Männer, weiße Tentakel oder weiße, vierbeinige Spinnentiere dar. Häufig wird Bezug auf die Geschichten von H. P. Lovecraft genommen, dessen populäres Cthulhu-Monster einem Oktopus ähnlich sieht. Einige Kommentare bewerten dies als eine Art Hommage an Lovecrafts Werk, was allerdings definitiv nicht der Fall ist. Es ist eher eine bewusste Positionierung gegen Lovecrafts rassistische Einstellung, die sich auch in seinen Geschichten wiederfindet. Bronca aus der Bronx erkennt, dass das angebliche Meisterwerk der faschistischen Alt-Artists das zutiefst rassistisches Lovecraft-Motiv „Gefährliche Geistermaschinen“ darstellt.

“Das war H. P. Lovecrafts lustige kleine Bezeichnung für die Leute in Chinatown – Verzeihung „Asiatischer Schmutz“. Er war bereit einzugestehen, dass sie so intelligent wie weiße Menschen sein mochten, weil sie wussten, wie man Kohle verdient. Aber er glaubte nicht, dass sie Seelen haben.“«

S. 185

Aus dem Marvel-Universum könnten die Wächterinnen von New York stammen, mit ihren speziellen Superkräften und auf sie zugeschnittenen Herausforderungen. Individuell verschieden und mit markanten Ecken und Kanten treten sie auf und sind gerade deswegen sympathisch. Manhattan ließ eine Gangster-Vergangenheit hinter sich, Brooklyn ihre Karriere als Rapperin, in der sie sich der patriarchischen Struktur der Szene anpasste. Besonders deutliche Bezüge zur Historie New Yorks offeriert Bronca, die vom indigenen Volk der Lenape abstammt und Wissenswertes über deren Vertreibung durch die Kolonisten aus Europa erzählt. Die beschriebenen Streifzüge durch New York vermitteln Details über Kultur und Charakteristik der Stadt in der Gegenwart und der Vergangenheit. In manchen Szenen fühlt man sich wie in einem Stadtmuseum von New York.

Echt, divers, bunt und rundum innovativ

N. K. Jemisin wirft uns mitten hinein in diese hektische Geschichte, der so ganz andere Strukturen zugrunde liegen, als viele Lesende gewohnt sind. Das Ungewöhnliche und Originäre findet sich auch in der Sprache wieder. Erzählende und Protagonist:innen verwenden New Yorker Slang, hart, konkret und mit Wortkreationen, deren Bedeutung man sich erschließen muss. Der Einstieg in die Geschichte fällt nicht grade leicht. Jedoch öffnet sich nach und nach der Vorhang zu einer Handlungsbühne, die über die multikulturelle Vielfalt der New Yorker Subkulturen, Bewegungen und Identitäten hinausgeht in eine multidimensionale SF-Rahmenhandlung, die ein wenig an Spiegeluniversen in Star Trek erinnert. Fantasy-, Science-Fiction und Horror-Motive verschmelzen in „Die Wächterinnen von New York“ zu etwas Eigenem, ähnlich wie in der „Die große Stille“-Trilogie.

Mittendrin in dieser herausfordernden Szenerie führen die Wächterinnen einen verzweifelten Überlebens- und Überzeugungskampf. Denn Staten Ayslin Island ist, wie sie ist: katholisch, konservativ, republikanisch und im Netz der weißen Spinne gefangen. Bis zum Schluss bleibt die Geschichte actionreich, intelligent und spannend. Das Ende überzeugt mit einer überraschenden Wendung und dem Verweis darauf, dass eine Schlacht geschlagen, der Krieg aber noch nicht vorbei ist. „Die Wächterinnen von New York“ von N. K. Jemisin ist der Start der „Great Cities“ Reihe, es folgen also weitere Bände. Freuen wir uns auf weitere unterhaltsame Geschichten, fantasie- und anspruchsvoll und bestens geeignet, um tief in New York einzutauchen und bereichert mit Stoff zum Nachdenken wieder hervorzukommen.

Eva Bergschneider

Triggerwarnung: Sexismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Queer-Feindlichkeit, Diskriminierung, Gewalt, Bedrohung von Kindern, Neo-Nazis

Die Wächterinnen von New York
The Great Cities, Band 1
N. K. Jemisin, Übersetzung: Benjamin Mildner
Fantasy, Science Fiction
Tropen Verlag
März 2022
Buch
544
David Paire / Lauren Panepinto
88

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