Gruselige Morde in einer utopischen Version der USA
Wer wünscht sich nicht, dass die jüngste Historie der USA einen anderen Verlauf genommen hätte? Einen der nicht Donald Trump zum Präsidenten auserkoren hätte. Ein Alternativweltszenario der USA ist der Rahmen der Geschichte in „Geistkrieger – Feuertaufe“. Doch es geht nicht um Donald Trump, sondern um die Ureinwohner Nordamerikas. Die haben sich in dem Roman erfolgreich gegen die Invasoren aus Spanien und England zur Wehr gesetzt und ihren eigenen Staat gegründet.
Powtanka ist eine Art Utopia. Die Powtankaner leben im Einklang mit der Natur und haben auf dieser Grundlage die Industrialisierung durchlaufen. Das Ergebnis ist ein Land, in dem saubere Energie erzeugt, keine Ressource ausgebeutet und kein Tier domestiziert wird. Der große Geist Wakan Tanka ist so real, wie die Totems; Geister mit dem Charakter mächtiger Tiere. Schamanen sind Auserwählte, die mit den Geistern kommunizieren.
Allerdings ist die Angst vor der Invasion tief in der Seele des Volks verankert. Menschen aus anderen Ländern, die in Powtanka leben, haben es nicht leicht, anerkannt zu werden. Besonders wenn sie so anders sind wie der Schotte Finnley.
Finnley kam der Liebe wegen nach Powtanka, er ist mit Taima aus dem angesehenen Inyanke Klans verlobt. Ohne den Segen von Taimas Vater Tatoke kann er nicht in Powtanka bleiben. Dafür braucht er zuerst einen Job. Zu seiner grenzenlosen Überraschung findet er den bei den „Geistkriegern“, einer Spezialeinheit, die sich um Fälle von spirituellem Missbrauch kümmert. Dabei hat Finnley von der Spiritualität der Powtankaner absolut keine Ahnung, sieht aber mit seinen Maschinen-Tattoos am ganzen Körper wenigstens erschreckend genug aus. Die neuen Kollegen machen es ihm nicht leicht, Teil des Teams zu werden und konfrontieren Finnley direkt mit einem grausigen Mordfall.
Ein unsichtbarer Täter metzelte Professor Catori während seiner Vorlesung nieder.
Er entfernte ein Auge, spaltete und brach seinen Brustkorb und grub das Herz aus. Die angehende Schamanin der Geistkrieger Chenoa stößt auf die Spur, den Hinweis darauf, dass Totems am Tatort waren. Der Rest des Teams findet einen toten Bären auf dem Universitätsgelände.
»„Wie ist das zu verstehen?“ fragte Finnley. „Du hast also die Spur von dem Bären gefunden, was bedeutet, dass er den Professor getötet hat?“
[…] „Wir haben einen toten Bären und Bärs Spur – das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.
„Aber warum ist der tote Bär von Bedeutung, obwohl er mit Bär nichts zu tun hat?“ hakte Finnley weiter nach. [S. 52]«
Professor Catori bleibt nicht das einzige Mordopfer und Finnley trifft mit seinen unbedarften Fragen öfter ins Schwarze. Eine Zeit gruseliger Erfahrungen und schmerzhafter Veränderungen kommt auf Finnley und das Team der Geistkrieger zu.
Spannend, innovativ, mystisch und anders
Was uns Konrad Hollenstein und Sonja Rüther in „Geistkrieger – Feuertaufe“ vorsetzen, ist ein innovativer Mix aus Dark Fantasy/Horror und Mystery mit einem Hauch Science-Fiction. Das Alternativwelt-Szenario Powtanka ist fortschrittlich und spirituell zugleich. Selbstfahrende Autos und ausgefeilte Computertechnologie gehören dort genauso zum Alltag, wie die Astralwelt mit Geistern und Totems. Diese kontrastreiche Weltordnung beschreibt die Autorin einerseits glaubhaft und organisch, andererseits thematisiert die Geschichte genau diese gegensätzlichen Aspekte. Mitten in diesem Setting spielt eine gruselige, mystische Mordserie, deren Lösung nur mit Hilfe technologischer und spiritueller Methoden gelingen kann. Diesen Konflikt müssen vor allem die Protagonisten lösen, der sachliche Personenschützer mit den Maschinentattoos aus Schottland und die Schamanin Chenoa. In diesem Spannungsfeld liegt der besondere Reiz des Romans „Feuertaufe“. Stetige Spannung, überraschende Wendungen und eigenwillige Charaktere tun ihr übriges zu einem besonderen Lesegenuss dazu.
Ein Team von Individualisten
Hauptakteur ist Finnley, der unbeugsame Schotte. Er tut zwar alles, um bei seiner Verlobten in Powtanka bleiben zu dürfen, lässt sich aber nicht verbiegen. Mit seinen cleveren, aber wenig gesellschaftskonformen Theorien eckt er an, bringt allerdings die Fallermittlung voran. Kein Wunder, dass er schließlich eine besondere Position im Geistkriegerteam einnimmt. Sein Gegenpart ist Chenoa, die traditionsbewusste angehende Schamanin, die unter hohem Erwartungsdruck arbeitet und sich keinen Fehler erlauben kann. Beide umkreisen sich wie Pole, die nicht zueinanderfinden. Tate, ebenfalls ein Weißer (als Wasicun bezeichnet), ist auf Finnleys Seite und ein geschickter Vermittler. Deidre, die Teamleiterin ist eine Farbige oder wie man in Powtanka sagt, eine Kasketin. Hinter ihrer stahlharten Fassade versteckt sich ein angeschlagenes Selbstbild. Obwohl Sonja Rüther gewisse Stereotypen für das Geistkrieger-Team brauchte, hat sie lebendige und komplexe Charaktere erschaffen. Dieser einzigartig grausame spirituelle Missbrauch lässt jeden im Team über seine Schwächen hinauswachsen und individuelle Talente entdecken.
Bitte mehr davon!
Rassismus ist ein Thema, das zwischen den Zeilen der Geschichte durchschimmert, Angst ist auch hier der Bodensatz aus dem er erwächst. Die Powtankaner lassen Menschen aus anderen Ländern Ablehnung spüren und stets wissen, dass sie sich anzupassen haben. Eine Lehre der Geschehnisse in „Feuertaufe“ für Powtanka ist, dass Vertreter andere Kulturen helfen, das Volk der Powtankaner gegen Gefahren zu schützen. Selbst der große Geist Wakan Tanka bedient sich ihrer, was ein weiterer interessanter Aspekt dieser Geschichte ist.
„Geistkrieger – Feuertaufe“ ist der Auftaktroman zu einer vielversprechenden Mystery-Serie, die nicht unbedingt neue, aber eher selten genutzte Wege beschreitet. Sonja Rüther hat ein ausgefallenes Alternativweltszenarium erschaffen, in dem sie sich bestens auskennt (siehe Werkstattbericht ab 11. Oktober 2018) und das sie sicherlich mit der Reihe weiterentwickeln wird. Ihre Schreibe ist lebendig. Der wechselnde Blickwinkel der Protagonisten bestens geeignet, um den Leser unmittelbar am Geschehen teilhaben zu lassen.
Der Roman ist allerdings dialoglastig geschrieben, was wenig Raum für Umgebungsbeschreibungen lässt. Manchmal hätte ich mir gewünscht, etwas mehr über Powtanka zu erfahren: Mehr über die technischen Spielereien, mehr darüber, wie die Städte einer Industrienation im Einklang mit der Natur aussehen. Hier und da wirkt eine Formulierung holprig („regungslos dastand und keinerlei Regung zeigte“ – S. 295), überwiegend hat jedoch das Lektorat solide Arbeit geleistet.
Insgesamt ist „Geistkrieger – Feuertaufe“ ein Roman mit einer äußerst dynamischen Handlung, voller unverbrauchter Ideen und mit faszinierenden Charakteren. Der Roman gehört klar zu den spannendsten Büchern, die ich bisher in diesem Jahr lesen durfte und ich hoffe sehr, dass die Fortsetzung der „Geistkrieger“-Reihe nicht allzu lange auf sich warten lässt.
Eva Bergschneider
Geistkrieger, Band 1
Horror
Edition Roter Drache
März 2018
317
Funtastik-Faktor: 85
Ein Gedanke zu „Feuertaufe – Sonja Rüther, Konrad Hollenstein“