Reichlich auf die Ohren
So wenig wie 2020 habe ich kaum gelesen. Obwohl – das stimmt nicht. Denn ich las Texte, die ich lektoriert habe und einen Großteil davon durfte ich in dem Buch »Wir sind die Bunten – Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval« publizieren. Ein Buch herausgeben ohne eine eigene Geschichte? Das ging gar nicht und so schickte ich einen Alien mit Minderwertigkeitskomplexen über Europas größtes Mittelaltermusikfestival. Da mir das Freude machte, schrieb ich mehr und mein Nur-Journalisten-Dasein ist passé.
Seit »Monster 83« bin ich Hörspiel- und Hörbuch-Fan, und es gab reichlich auf die Ohren.
Science Fiction
Das urkomische »Roboter weinen heimlich« von André Nagerski, gesprochen von Omid-Paul Eftekhari, und »Die Weltern der Skiir« von Dirk van den Boom, gesprochen von Günther Merlau, habe ich ausführlich auf phantastisch lesen besprochen. Wenn ich selbst mal was zu sprechen habe, frage ich Omid. Der hat’s echt drauf! Weil wir gerade bei Günter Merlau waren: Von ihm stammt das exzellent eingesprochene Hörspiel „Head Money 1“. 100 Millionen Dollar für den Kopf eines jeden Arschloch-Milliardärs. Geile Idee.
Zur Erinnerung sollte »Kryonium«, der bildgewaltige Roman des Schweizers Matthias Zimmermann, hier unbedingt Erwähnung finden.
Meine Lieblings-Dystopie-Cyberpunk-Charaktere liefen mir bei »Die Beute – Hive 1« von Karla Schmidt über den Weg. Walker Mc Tavish und Nnedi Okay, gesprochen von Marco Rosenberg und Verena Wolfien, gehören zu den tiefsinnigsten, sympathischsten Figuren 2020. Ich liebe dieses Hörbuch.
»Ich bin viele. Bobiverse 1« von Dennis E. Taylor, international hochgelobt, traf nicht meinen Nerv und Humor. Auch die »Bienenkönigin« von Claudia Praxmayer blieb schwach, ich fand es zu oberflächlich und eher eine Young adult Geschichte als ein erwachsener Roman.
»Alien« von Tim Lebbon als Hörspiel geschrieben von Dirk Maggs ruft die Bilder des Films ständig auf. Es ist streckenweise bedrohlicher als er, weil die eigene Phantasie diese Monster mit mehr Schrecken füllt.
»Du weißt doch, dass die Leute auf der Erde hinter dem Mond leben«, lautet immer noch mein Lieblingssatz aus dem provokanten Sex-Roman „Arkadia – Greedy“ von Bernhard Kempen.
Von Richard Barenberg gesprochen hörte ich erstmalig »Das Netz der Sterne« von Andreas Brandhorst. Tess wird von der übermächtigen Firma Interkosmika in einen Kartographen-Job gezwungen und in eine Region geschickt, aus der noch keiner lebend zurückkehrte. Als SciFi-Fan mochte ich es sehr in der Barenbergschen Interpretation. Brandhorst schuf ein paar Bilder, die nachhaltig bleiben – faszinierend: die Welt der Maschinen.
Phantastik
Gleich danach gönnte ich mir »Nordblut – Wölfe wie wir« aus der Feder von Mira Valentin aus dem Munde Barenbergs. Drei Männer, drei Morde, drei Familien zu Zeiten der Wikinger und der beginnenden Christianisierung in Island als Spielzeuge der Götter. Ich habe mir vorgenommen, zwei so unterschiedliche Genres von demselben Sprecher mit zeitlichem Abstand zu hören, da sich in meinem Kopf ansonsten die Welten mischen. Mira Valentin ist in Höchstform, 2021 freue ich mich auf Band zwei.
Voll in die High-Fantasy gedriftet und von ihr verschlungen wurde ich von Sam Feuerbachs »Krosann-Saga« beginnend mit »Die Auftragsmörderin«, sechs Bände gelesen von Robert Frank. Die mich kennen, wissen, dass ich totaler Feuerbach-Fan bin. Ich traue mich schon gar nicht mehr, Jubelrezensionen zu seinen Büchern zu schreiben. Mit Nica, der Mörderin, und Admiral Bolg hat er für mich die faszinierendsten Charaktere in 2020 erschaffen. Selbstverständlich folgten »Die Gauklerchroniken« in drei Bänden mit dem schwertgewaltigen Brocken und seinen Begleiter*innen.
Der dritte Weltenbauer Greg Walters gewann mit „Der Lehrling des Feldschers“ den Kindle Storyteller Award mit seinem Roman, der im 30jährigen Krieg spielt. Nur die Feldschere können die Dämonen in Schach halten. Ungeschickt, dass sich ausgerechnet der Lehrling verbotenerweise mit einem verbindet.
Mit Ivar Leon Menger begann vor Jahren meine Hörspielsucht, deshalb war »Ghostbox 2. Die Gedanken waren frei.« ein must hear. Das Hörspiel hat mir sogar noch besser als Teil 1 gefallen. Urban Fantasy vom Feinsten.
Tüchtig geheult habe ich bei der »Angelussaga« von Marah Woolf, talentiert gesprochen von Ann Vielhaben. Der dritte Band ging mir dann auf den Senkel und ich fand das Finale zu kitschig.
Weitergehört habe ich mit Freuden von meinen Lieblingen Bernhard Hennen »Die Chroniken von Azuhr«, gesprochen von Wolfgang Wagner. Markus Heitz führt in »Die Meisterin« als Hörspiel von Carsten Steenbergen die Protagonisten seiner ganzen Vampir-, Werwolf- und Dämonendynastien mit den zauberkundigen Henkern zusammen. Doch zum Ende des Jahres habe ich fassungslos ständig den Kopf schütteln müssen.
Ein Pseudonym als Werbegag?
Wenn der Verlag Werbung damit macht, dass Maxim Voland Markus Heitz ist, braucht er auch kein Pseudonym. Stellt Euch vor, »Die Republik« hat gesiegt und Westdeutschland ist kommunistisch oder das, was die Oberen dafür halten. Naja – als Ex-Ossi habe ich mich amüsiert. Ich habe gemerkt, dass Markus diese Persiflage einen Riesenspaß gemacht haben muss, doch in die eigentliche Geschichte fand ich erst zum Schluss, nachdem ich mich durch alle Broiler und Bemmen gefressen hatte. Ein Ossi hätte das nicht schreiben dürfen, der wäre von seinen ehemaligen Staatsbürgern gelyncht worden.
Zum unzähligen Male las ich »Der kleine Prinz« von Antoine de Saint-Exupéry. Das streichelt meine Seele, genauso wie »Der Tintenphönix« von Isa Theobald mit einer Ballade von Christian von Aster.
Da ich selbst angefangen habe, Kurzgeschichten zu schreiben, las ich natürlich viele. Meine Lieblingskurzgeschichte ist aus »German Kaiju« von Markus Kastenholz »Die Großen Alten«. Seele streicheln fällt aus bei den Basement Tales: Splatter, Horror, Weird Fiction von begnadeten Autoren. Meine Lieblingsstory: Axel Hildebrandt »Der schwarze Hai«. Die ist so abgrundtief böse.
Highlight 2020
Zum Schluss möchte ich mein Highlight 2020 vorstellen. Es ist der SciFi-Roman: »Die Kinder der Zeit« von Adrian Tchaikovsky, ausgezeichnet gesprochen von Matthias Lühn. Zwischendurch hätte ich dem Autor am liebsten den Hals umgedreht, ich habe ihn verflucht und verteufelt. Genial! Think big!
Wer über den Tellerrand der Phantastik hören möchte, dem empfehle ich »Die juten Sitten. Goldene Zwanziger. Dreckige Wahrheiten.« von Anna Basener – mit einer ganzen Riege ausgezeichneter Sprecherinnen und Sprecher. Mein allererster Podcast war der von der Zeitschrift Geo. Ich habe eine ganze Menge dabei gelernt und skurrile aber wahre Dinge erfahren.
Mein Regal ungelesener Bücher platzt aus allen Nähten. Trotzdem werde ich wieder viele Hörbücher hören. Ich freue mich auf „Die Phileasson-Saga“ von Bernhard Hennen und Robert Corvus. Und viele SciFi-Titel, die mir Freunde empfohlen haben. Let‘s hear!
Amandara M. Schulzke