Bunt und vielfältig erzählt das Festival Mediaval
Die Herausgeberin der Anthologie „Wir sind die Bunten“, Amandara M. Schulzke, brennt für das Literaturzelt auf dem Festival-Mediaval. Das Mittelalter-Festival in Selb auf dem Goldberg, das seit 2008 an jedem zweiten Septemberwochenende steigt, zählt der Reader’s Digest zu den acht schönsten Festivals in Europa. Und das Literaturzelt wird in dem Artikel bei RD explizit lobend erwähnt. Ich durfte auf den letztjährigen Buchmessen und BuCons live beobachten, wie viel Leidenschaft Amandara als Organisatorin in die Autoren-Akquise für dieses Projekt hineinsteckte.
Von der Idee, eine Anthologie zum Festival-Mediaval herauszubringen, hörte ich zuerst auf dem PAN Branchentreffen 2019. Denn dort lernte ich den Verleger Björn Bedey vom acabus Verlag kennen. Und auch ihm war es direkt anzusehen, er brennt für das Festival und für diese Anthologie. Allein die Tatsache, dass zwei enthusiastische und kompetente Literaturmenschen hinter dieser Anthologie stecken, ist Grund genug, sie zu lesen. Und das ist längst nicht der einzige.
Alle 25 Geschichten auf einen Blick
- Festivalzauber – Nils Krebber
- Eine besondere Genehmigung – Astrid Rauner
- Tanz auf dem Balkon – Billie Przegendza
- Schwurbel I – König der Reptiloiden – Stefanus Rex
- Der Duft der Wahrheit – Robert Corvus/Bernhard Hennen
- Die Verfluchten vom Goldberg- Jörg Olbrich
- Die andere Seite der Idylle – Teresa Hofmann
- Das Mädchen und der Drache- J. Praßl
- Nachfolge – Friedhelm Schneidewind
- Bei Hungersnöten rief ich zum Fasten auf! – Robert Focken
- Die Geschichte vom gefallenen Ritter – Candrac von Hainrich
- Mara und die Knobischlange – Tommy Krappweis
- Gustav K. und die Invasion der Dämonenpiraten – Karsten Heilmann
- Schwarm – Janika Hoffmann
- Des Sängers Fluch – Andrea Bannert
- Hope – Hoffnung gibt es immer – Gabriele Ketterl
- Rosenrot und Rabenherz – Der Tod stirbt jung – Heike Knauber
- Anjuli und die Schnabelwesen – Anja Härtel
- Zeitenelixier – Yule Forrest
- J. O‘ Donoghues Trip nach Bayern – Helmut Gotschy
- Von Drachen und Jungfrauen – Norman Liebold
- Heilung – Isa Theobald
- Pilze – Ju Honisch
- Back to the Roots – Amandara M. Schulzke
- Bäume – Kelvin Schmidt
Humoristisch…
Jubel, Trubel, Heiterkeit auf dem Festival-Mediaval verspricht der Ankündigungstext auf dem Cover der Anthologie. Kein Wunder also, dass Geschichten dabei sind, die über kauzige Typen und kuriose Begegnungen auf dem Festival erzählen.
In „Mara und die Knobischlange“ von Tommy Krappweis lernen Mara und Professor Weissinger (bekannt aus der „Mara“-Trilogie) einen bärtigen Hünen in Gewandung kennen. Die Kleidung erweckt den Argwohn des Geschichtsgelehrten und ein Gespräch mit dem vermeintlichen Wikinger oder Germanen führt zu einem Aha-Erlebnis.
„J. J. O‘ Donoghues Trip nach Bayern“ von Helmut Gotschy lässt einen Barkeeper aus Donegol nach Bayern, zum Ort seiner Träume, reisen. Das Ziel hatte der Ire sich jedoch völlig anders vorgestellt.
Tommy Krappweis spottet liebevoll über den Protagonisten seiner „Mara“ Trilogie. Und Helmut Gotchys sprachlich originelle Story persifliert Vorurteile, die man gemeinhin Iren und Bayern entgegenbringt. Beide Geschichten zaubern ein Lächeln aufs Gesicht und verbreiten gute Laune.
und traurig
Wer glaubt, dass die Geschichten dieser Anthologie keine anderen Plots zu bieten haben, als das Festival zu feiern, irrt gewaltig. Auch ernstere Themen wie Kontrollverlust, Mord und Tod haben hier ihren Raum.
„Die andere Seite der Idylle“ von Teresa Hofmann beginnt, als wollte die Geschichte die lockere Stimmung und den toleranten Gemeinsinn der Besucher präsentieren. Doch die Festivalidylle, der sich ein geheimnisvoller Fremder nicht zu entziehen vermag, kippt ins Düstere.
„Rosenrot und Rabenherz – Der Tod stirbt jung“ von Heike Knauber beginnt bereits tragisch. Die Protagonistin verlor ihre Zwillingsschwester bei einem Motorradunfall genau vor einem Jahr. Was hat Rose auf dem Festival zu suchen – ohne Jo? Doch dann verspricht ein Händler ein mögliches Wiedersehen. Rose kann nicht widerstehen und erlebt gänzlich unerwartetes.
Diese beiden Geschichten rufen Melancholie und Erschütterung beim Leser hervor. Vielleicht auch Erinnerungen an tiefe Trauer und an Taten, die man bitter bereut.
Über Könige
Was wäre eine Anthologie über ein mittelalterliches Festival ohne Persönlichkeiten aus der Historie? Den Königen haben sich Robert Focken und Andrea Bannert auf unterschiedliche Weisen gewidmet: mit historischen Kenntnissen und einem Hang zu mysteriösen Balladen.
„Bei Hungersnöten rief ich zum Fasten auf!“ von Robert Focken ist ein fiktives Interview mit Karl dem Großen. Es enthüllt Erhellendes über Charakter und Motive des einstigen Führers des fränkischen Reichs.
In „Des Sängers Fluch“ von Andrea Bannert wirkt die Saga um einen verfluchten König erschreckend real. Das vermeintliche Rollenspiel zieht überraschende Konsequenzen nach sich.
Gemein ist beiden Geschichten der Bezug zur Historie. In „Bei Hungersnöten rief ich zum Fasten auf!“ bildet die reale Geschichte Karls des Großen den Hintergrund, in „Des Sängers Fluch“ eine fiktive Historie, abgeleitet von einer Ballade aus dem 19. Jahrhundert. Beide Stories überzeugen mit unvermuteten Überraschungsmomenten.
Durch Zeit…
Wer hätte gedacht, dass im Setting des Festivals-Mediaval Zeitreisen stattfinden?
In „Die Verfluchten vom Goldberg“ von Jörg Olbrich begleiten wir drei unrechtmäßige Festivalbesucher. Sie haben sie eine wichtige Aufgabe: die weiße Zauberin ausfindig zu machen. Ein Scheitern kostet sie viel Zeit.
„Zeitenelixier“ von Yule Forrest erzählt von Jennyfea, die keine Lust auf Soirees und Begegnungen mit potenziellen Ehemännern hat. Im Keller ihres Vaters entdeckt sie ein Instrument, das ihr zur Flucht verhelfen könnte.
Geschichten wie diese zeigen, dass das Thema Zeitreisen perfekt zum Festival Mediaval passt. Aus unterschiedlichen Motiven landen Besucher aus einer anderen Zeit auf dem Goldberg. Ihre Abenteuer lesen sich unterhaltsam und spannend.
und Raum
Aliens und wundersame Botanik breiten sich auf dem Festivalgelände aus. Mit verheißungsvollen und fatalen Folgen.
„Back to the Roots” von Amandara M. Schulzke erzählt von Flek vom Planeten Luytan. Obwohl er die Sprache anfangs nicht versteht und aussieht, als gehöre er auf eine Star Trek Convention, findet er Anschluss auf dem Festival. Und er lernt etwas, das ihm seine Ausbildung zum Xenologen nicht beibringen konnte.
In „Bäume“ von Kelvin Schmidt verändert sich der Goldberg und lässt ungewöhnliche Bäume wachsen. Wie mag er in 188 Jahren aussehen?
Science-Fiction Stories vermitteln oft gesellschaftspolitische Botschaften und das gilt auch für „Back to the Roots” und „Bäume“. Der Ausblick in die Zukunft fällt in diesen beiden Geschichten allerdings sehr unterschiedlich aus, was einen Gutteil ihres Reizes ausmacht.
Heilsam
Zum Schluss stelle ich zwei hoffnungsvolle, positive Geschichten vor, die Mut machen. Ist Hoffnung nicht genau das, was wir zurzeit am dringendsten brauchen?
In „Hope – Hoffnung gibt es immer“ von Gabriele Ketterl treten zwei Protagonisten ihres Romans „Venetian Vampires – Kinder der Dunkelheit“ auf. Sie erzählen von einer ungewöhnlichen Liebe, die den Tod besiegt.
In „Heilung“ von Isa Theobald diskutiert das Götter-Pantheon über das Übel in der Menschenwelt. Der Reisende findet einen verblüffend einfachen Ausweg.
Auch diese Geschichten könnten inhaltlich kaum unterschiedlicher sein: stimmungsvolle Urban-Fantasy und eine philosophisch anmutende Parabel. Doch sie vermitteln beide einen Hauch von Glück und ein warmes Gefühl.
Mein Favorit
In „Eine besondere Genehmigung“ von Astrid Rauner begleiten wir eine seltsame Gutachterin auf ihrem Kontrollgang. An einem Stand, der Gewandung verkauft, macht sie eine aufsehenerregende Entdeckung.
Die Geschichte fängt für mich sehr schön die Stimmung auf dem Festival Mediaval ein. Zugleich lässt sie uns rätseln, was es mit der Inspektion auf sich haben mag und bietet eine verblüffende Wendung und Auflösung.
Diese Geschichte hat in mir etwas zum Klingen gebracht, weil sie zuerst paradox wirkt und schließlich ein wunderbares Finale bietet. Doch ich könnte genauso gut andere Geschichten zu Favoriten erklären und viele weitere lustige, düstere, kuriose, mystische und ermutigende Beiträge vorstellen. Die hier vorgestellten Stories sind eine Auswahl, die ich thematisch verknüpfen konnte.
Letzte Worte
Sollte ich diese Anthologie mit drei Begriffen beschreiben, fiele meine Wahl auf „wunderbare phantastische Vielfalt“, ein Eindruck, der sich perfekt im Titel „Wir sind die Bunten“ wiederfindet. Selten habe ich in einer Anthologie so viele unterschiedliche Ideen und Ansätze unter einem Thema vereint vorgefunden. Ähnliches gilt für die Autoren und Autorinnen, die vor ihrer Geschichte jeweils kurz portraitiert werden. Bekannte und unbekannte Schriftsteller, aber auch Musiker, Journalisten, Ingenieure und Instrumentenbauer sind darunter zu finden. Bemerkenswert ist, dass die Herausgeberin einigen Festival-Freunden die Chance gab, eine Geschichte beizutragen, obwohl sie kaum Schreiberfahrung hatten. Dafür aber liebevolle, originelle oder durchgeknallte Ideen, die die Festivalatmosphäre perfekt einfangen und vermitteln. Diese und ein hervorragendes Lektorat sorgen für eine überwiegend ausgezeichnete Qualität der Geschichten.
Chapeau! Und Dank an alle Mitwirkenden. Es hat mir viel Spaß gemacht, an Euren Festival-Erlebnissen und Fantasien teilzuhaben.
Eva Bergschneider
Fantasy, Science Fiction
acabus Verlag
August 2020
360
Funtastik-Faktor: 83